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zwar ist diese gerade Linie schweren Körpern sowohl als auch immateriellen [substanzlosen] eigenthümlich, wie besonders den Lichtstrahlen, die sich mit grosser Vehemenz bewegen.

Ferner, die Schale der Schildkröte hat eine regelrecht abgerundete Gestalt und dennoch rührt sie nicht von einem architektonischen Verstande her, sondern von der unabweislichen Nothwendigkeit des Materials. Denn gegen den Winter rollt sich die Schildkröte zu einer kegelförmigen Figur zusammen und schwitzt, so zusammengerollt, eine klebrige Flüssigkeit aus, welche zur Kruste erstarrt, und so bilden sich nach und nach mehrere Reifen. So entstehen die Sechsecke der Bienenzellen[UE 1] aus dem unabweislichen Zwange der Leiber, während sie sich so eng als möglich an einander drängen. Dagegen ist die Fünfzahl in den Blumen etwas Gesetzmässiges, und da sie nicht aus der Natur des Materials hervorgehen kann, so wird sie aus der Bildungskraft hergeleitet, der man den Begriff der Zahl und so gleichsam Vernunft zuschreibt. Ich habe über diesen Gegenstand in meinem Buche ‚Ueber den neuen Stern‘[UE 2], Cap. 26 u. 27 disputirt, ob das häufige Zusammentreffen verschiedener Dinge in ein und derselben Stammreihe dem blinden Zufall zugeschrieben werden könne.

XXVII. Erscheinung. Jene Höhlungen in den Flecken des Mondes sind genau rund, soviel wir mit den Augen erkennen können, doch sind sie nicht alle von gleichem Umfang. Es ist auch eine gewisse Ordnung in ihrer Vertheilung, sie erscheinen gleichsam als im Quincunx[UE 3] liegend.

XXVIII. Wenn wir den vorhergehenden Grundsatz auf diese Erscheinungen anwenden, so kommen wir zu folgenden Schlüssen: im Grossen und Ganzen zwar herrschen auf der Oberfläche des Mondkörpers, was die Vertheilung der hohen und tiefen Stellen anbelangt, der Zufall und die durch das Material bedingte Nothwendigkeit vor; die Erde [s. N. [212]] wird von unterirdischen Felsen abgeschabt, Thäler werden ausgewaschen, so dass Berge stehen bleiben, die Wässer fliessen in die tiefer liegenden Regionen ab, und werden dort durch das Bestreben aller Theile nach dem Mittelpunkt des Mondkörpers im

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Kepler giebt an anderer Stelle [s. Sendschreiben an Wackher von Wackenfels; K. O. O. VII, S. 717 ff.] noch weitere Beispiele regelmässiger Gestaltungen in der Natur, so der Schneeflocken u. s. w.
  2. K. O. O. II, S. 705 ff.
  3. Eigentlich ‚die fünf Augen auf den Würfeln‘ ; in grösserer Zusammensetzung also die Felder eines Schachbretts darstellend, daher wohl am besten durch ‚schachbrettartig‘ zu übertragen. Man darf sich übrigens nicht verhehlen, dass dieser Vergleich nicht sehr glücklich von Kepler gewählt ist.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_193.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)