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Friedrich Kapp: Reinhold Solger. In: Aus und über Amerika, Band 1

Nachts über eine Menge kleiner Verdrießlichkeiten unterhalten hatten, brach Solger diesen Gegenstand unsers Gesprächs plötzlich mit den Worten ab: „Trotz aller dieser kleinen Leiden geht mir der Gedanke an ein größeres Gedicht im Kopfe herum. Ich kann ihn seit einigen Tagen nicht mehr los werden. Ich bin jetzt zu dem Schlusse gekommen, daß ein ganz moderner Stoff, die Tagesgeschichte selbst, wie der amerikanische Krieg, sich meiner Hand fügen wird. Sie werden gewiß vor dem Gedanken erschrecken, aber ich weiß, was ich will. Es wird vielleicht dabei eine wahrhaft neue Stufe in der Poesie betreten werden, d. h. in dem Sinne, daß nichts dabei konventionell, Alles unmittelbar aus dem Geiste der Zeit geschöpft ist. Unser Zeitalter und besonders unser amerikanisches Zeitalter glaubt an die alten poetischen Effekte nicht – man muß in der Poesie dieselben Effekte anstreben, wie in der Beredsamkeit. Diese versteht das Volk. Vorerst lese ich Alles über den Krieg und die amerikanischen Zustände, ja selbst amerikanische Novellen, wo ich ihrer habhaft werden kann. In dem schlechtesten Zeug spricht sich grade der Geist des Volkes und der Zeit am Reinsten aus. So wird sich allmälig etwas bilden; die Frage für mich ist nur, soll mein Held ein Südländer oder ein Nordländer sein? Das Erstere ist sehr verführerisch, weil tragisch. Einen deutschen Helden nehme ich nicht, denn mein Held muß mehr repräsentiren, als wir hier sind; aber natürlich kommt unsere Stellung darin vor und spielt eine Haupt-Nebenrolle. Je mehr ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir mein Thema. Ich fürchte zwar, daß mein Pegasus, so lange in den Karren der Gelehrsamkeit gespannt, etwas steif geworden ist; allein er wird sich meinem ernsten Willen wohl wieder fügen lernen. Ich habe mich hier zwar ziemlich eingelebt, aber nur, um mir selber bewußt zu werden, daß ein deutscher Kern in mir es zu keiner innigen Versöhnung mit dem englisch-amerikanischen Wesen kommen läßt. Vielleicht gelingt es mir durch mein Gedicht, mir in dem, uns zur Zeit umwogenden gewaltigen Kampfe ein neues großes Interesse an Amerika zu geben und mich sowohl hier als in Deutschland wieder einzubürgern.“

Auch dies Mal kam er jedoch nicht zur Ausführung seines Planes, weil seine Anstellung in Washington für geraume Zeit alle wissenschaftliche Arbeit ausschloß.

Im vollen Gefühl seiner geistigen Kraft sah ich Solger zum letzten



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Friedrich Kapp: Reinhold Solger. In: Aus und über Amerika, Band 1. Verlag von Julius Springer, Berlin 1876, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kapp,_Aus_und_%C3%BCber_Amerika,_Band_1,_S_377.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)