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Friedrich Kapp: Reinhold Solger. In: Aus und über Amerika, Band 1

diesen Beziehungen ist die Solger’sche Novelle ganz vortrefflich. Der Konflikt wird scheinbar nur als Kriminalgeschichte eingeführt; allein der Held wird verurtheilt, nicht wegen der gegen ihn vorliegenden Beweise, sondern auß Wuth des bornirten Amerikanerthums gegen die deutsche Bildung, welche sich in der Rede des Staatsanwalts ausspricht. Die Heldin ist von Anfang an das Opfer amerikanischer Verziehung, in gewohnter Mischung mit religiösem Vorurtheil. Dagegen arbeiten in ihr die edlen und befreienden Elemente des amerikanischen Lebens und tragen zuletzt den Sieg davon. Die psychologische Entwicklung des Charakters von Ellen scheint mir ganz meisterhaft zu sein. Die Versöhnung und Rettung werden herbeigeführt durch Bildung und Seelenadel.

Dennoch bleibt der tragische Zug, daß für den gebildeten Deutschen in Amerika keine Stätte ist. Ein gewöhnlicher Romanschreiber hätte natürlich den Helden mit der Heldin glücklich verheirathet. Für Antonio, einmal von Deutschland losgerissen, gibt es keine Heimath, kein Weib, keinen Hausstand mehr; für das amerikanische Mädchen, welches ihr Leben an das seinige kettet, ebensowenig. Aber dennoch haben sie einen Anker im Geiste und im Herzen, durch die höchste Bildung, das Resultat der doppelten, besten Erziehung, welche Deutschland und Amerika zusammen ihnen geben konnten. Die Aufgabe ließ sich nicht höher noch feiner fassen, ja sie konnte nicht gewaltig ergreifender gefaßt werden. Dabei kommt das mittlere und untere Leben ebenfalls zu seinem Rechte: die schnelle Fäulniß des amerikanischen Materialismus in den Dawson’s, Vater und Sohn, und das gesundere Element in den Cartwrights. Alle diese tiefsten Blicke in das Innerste des deutsch-amerikanischen Lebens werden durch eine Erzählung eröffnet, aus welcher der oberflächliche Leser nur eine Folge spannender Abenteuer und eine fürchterliche Kriminalgeschichte herauslesen und gesellschaftlich mit photographischer Treue und zwangloser Vertrautheit geschilderte Verhältnisse und Szenerien kennen lernen wird. Trotz des tiefen sittlichen Ernstes und des erschütternden Pathos, welcher den Grundton der Erzählung bildet, hinterläßt das Ganze zuletzt den Eindruck fast idyllischer Heiterkeit. Viel tragen dazu bei eine feine Ironie, ein breiter Humor und ein tiefes Naturgefühl, welches Einem wie eine frische Bergluft aus der Erzählung


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Friedrich Kapp: Reinhold Solger. In: Aus und über Amerika, Band 1. Verlag von Julius Springer, Berlin 1876, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kapp,_Aus_und_%C3%BCber_Amerika,_Band_1,_S_375.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)