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791 Die Disciplin d. r. Vernunft in Beweisen. 791

Weg niemals eine Hypothese in demonstrirte Wahrheit verwandelt werden. Der modus tollens der Vernunftschlüsse, die von den Folgen auf die Gründe schliessen, beweiset nicht allein ganz strenge, sondern auch überaus leicht. Denn, wenn auch nur eine einzige falsche Folge aus einem Satze gezogen werden kan, so ist dieser Satz falsch. Anstatt nun die ganze Reihe der Gründe in einem ostensiven Beweise durchzulaufen, die auf die Wahrheit einer Erkentniß, vermittelst der vollständigen Einsicht in ihre Möglichkeit, führen kan, darf man nur unter denen aus dem Gegentheil derselben fliessende Folgen eine einzige falsch finden, so ist dieses Gegentheil auch falsch, mithin die Erkentniß, welche man zu beweisen hatte, wahr.

 Die apogogische Beweisart kan aber nur in denen Wissenschaften erlaubt seyn, wo es unmöglich ist, das Subiective unserer Vorstellungen dem Obiectiven, nemlich der Erkentniß desienigen, was am Gegenstande ist, zu unterschieben. Wo dieses leztere aber herrschend ist, da muß es sich häufig zutragen, daß das Gegentheil eines gewissen Satzes entweder blos den subiectiven Bedingungen des Denkens widerspricht, aber nicht dem Gegenstande, oder daß beide Sätze nur unter einer subiectiven Bedingung, die, fälschlich vor obiectiv gehalten, einander widersprechen und da die Bedingung falsch ist, alle beide falsch seyn können, ohne daß von der Falschheit des einen auf die Wahrheit des andern geschlossen werden kan.

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_791.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)