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777 Die Disciplin d. r. Vernunft in Hypothesen. 777

nicht führen könte. Der Gegner soll also beweisen. Da dieser aber eben so wenig etwas von dem bezweifelten Gegenstande weis, um dessen Nichtseyn darzuthun, als der erstere, der dessen Wirklichkeit behauptet: so zeigt sich hier ein Vortheil auf der Seite desienigen, der etwas als practischnothwendige Voraussetzung behauptet (melior est conditio possidentis). Es steht ihm nemlich frey, sich gleichsam aus Nothwehr eben derselben Mittel vor seine gute Sache, als der Gegner wider dieselbe, d. i. der Hypothesen zu bedienen, die gar nicht dazu dienen sollen, um den Beweis derselben zu verstärken, sondern nur zu zeigen, daß der Gegner viel zu wenig von dem Gegenstande des Streits verstehe, als daß er sich eines Vortheils der speculativen Einsicht in Ansehung unserer schmeicheln könne.

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 Hypothesen sind also im Felde der reinen Vernunft nur als Kriegswaffen erlaubt, nicht um darauf ein Recht zu gründen, sondern nur es zu vertheidigen. Den Gegner aber müssen wir hier iederzeit in uns selbst suchen. Denn speculative Vernunft in ihrem transscendentalen Gebrauche ist an sich dialectisch. Die Einwürfe, die zu fürchten seyn möchten, liegen in uns selbst. Wir müssen sie, gleich alten, aber niemals veriährenden Ansprüchen, hervorsuchen, um einen ewigen Frieden auf deren Vernichtigung zu gründen. Aeussere Ruhe ist nur scheinbar. Der Keim der Anfechtungen, der in der Natur der Menschenvernunft liegt, muß ausgerottet werden; wie können wir

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_777.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)