Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. etc. | 769 |
deren Schein er aber auch nicht aus Principien entwickeln kan, so fällt der Verdacht auf alle, so überredend sie auch sonst immer seyn mögen.
Und so ist der Sceptiker der Zuchtmeister des dogmatischen Vernünftlers auf eine gesunde Critik des Verstandes und der Vernunft selbst. Wenn er dahin gelangt ist, so hat er weiter keine Anfechtung zu fürchten; denn er unterscheidet alsdenn seinen Besitz von dem, was gänzlich ausserhalb demselben liegt, worauf er keine Ansprüche macht und darüber auch nicht in Streitigkeiten verwickelt werden kan. So ist das sceptische Verfahren zwar an sich selbst für die Vernunftfragen nicht befriedigend, aber doch vorübend, um ihre Vorsichtigkeit zu erwecken und auf gründliche Mittel zu weisen, die sie in ihren rechtmässigen Besitzen sichern können.
Weil wir denn durch Critik unserer Vernunft endlich so viel wissen: daß wir in ihrem reinen und speculativen Gebrauche in der That gar nichts wissen können, solte sie nicht ein desto weiteres Feld zu Hypothesen eröfnen, da es wenigstens vergönnet ist, zu dichten und zu meinen, wenn gleich nicht zu behaupten?
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 769. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_769.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)