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756 Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. 756

Streiche, die das Gebäude des Feindes niederschlagen, auch seinem eigenen speculativen Bauwerke, wenn er etwa dergleichen zu errichten gedächte, eben so verderblich seyn müssen: so ist er darüber doch gänzlich unbekümmert, indem er es gar nicht bedarf, darinnen zu wohnen, sondern noch eine Aussicht in das practische Feld vor sich hat, wo er mit Grunde einen festeren Boden hoffen kan, um darauf sein vernünftiges und heilsames System zu errichten.

 So giebts demnach keine eigentliche Polemik im Felde der reinen Vernunft. Beide Theile sind Luftfechter, die sich mit ihrem Schatten herumbalgen, denn sie gehen über die Natur hinaus, wo vor ihre dogmatische Griffe nichts vorhanden ist, was sich fassen und halten liesse. Sie haben gut kämpfen; die Schatten, die sie zerhauen, wachsen, wie die Helden in Valhalla in einem Augenblicke wiederum zusammen, um sich aufs neue in unblutigen Kämpfen belustigen zu können.

 Es giebt aber auch keinen zulässigen sceptischen Gebrauch der reinen Vernunft, welchen man den Grundsatz der Neutralität bey allen ihren Streitigkeiten nennen könte. Die Vernunft wider sich selbst zu verhetzen, ihr auf beiden Seiten Waffen zu reichen und alsdenn ihrem hitzigsten Gefechte ruhig und spöttisch zuzusehen, sieht aus einem dogmatischen Gesichtspuncte nicht wol aus, sondern hat das Ansehen einer schadenfrohen und hämischen Gemüthsart an sich. Wenn man indessen die unbezwingliche Verblendung und das Großthun der Vernünftler, die sich

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_756.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)