Seite:Kant Critik der reinen Vernunft 750.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
750 Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. 750

einer blossen Speculation alles ehrlich zugehen müsse, ist wol das Wenigste, was man fodern kan. Könte man aber auch nur auf dieses Wenige sicher rechnen, so wäre der Streit der speculativen Vernunft über die wichtigen Fragen von Gott, der Unsterblichkeit (der Seele) und der Freiheit, entweder längst entschieden, oder würde sehr bald zu Ende gebracht werden. So steht öfters die Lauterkeit der Gesinnung im umgekehrten Verhältnisse der Gutartigkeit der Sache selbst und diese hat vielleicht mehr aufrichtige und redliche Gegner, als Vertheidiger.

.

 Ich setze also Leser voraus, die keine gerechte Sache mit Unrecht vertheidigt wissen wollen. In Ansehung deren ist es nun entschieden, daß, nach unseren Grundsätzen der Critik, wenn man nicht auf dasienige sieht, was geschieht, sondern was billig geschehen sollte, es eigentlich gar keine Polemik der reinen Vernunft geben müsse. Denn wie können zwey Personen einen Streit über eine Sache führen, deren Realität keiner von beiden in einer wirklichen, oder auch nur möglichen Erfahrung darstellen kan, über deren Idee er allein brütet, um aus ihr etwas mehr als Idee, nemlich, die Wirklichkeit des Gegenstandes selbst heraus zu bringen? Durch welches Mittel wollen sie aus dem Streite heraus kommen, da keiner von beiden seine Sache geradezu begreiflich und gewiß machen, sondern nur die seines Gegners angreifen und widerlegen kan? Denn dieses ist das Schicksal aller Behauptungen der reinen

nen
Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_750.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)