Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. etc. | 749 |
gar keinen Vortheil haben. Denn was kan den Einsichten nachtheiliger seyn, als so gar blosse Gedanken verfälscht einander mitzutheilen, Zweifel, die wir wider unsere eigene Behauptungen fühlen, zu verheelen, oder Beweisgründen, die uns selbst nicht gnug thun, einen Anstrich von Evidenz zu geben. So lange indessen blos die Privateitelkeit diese geheime Ränke anstiftet (welches in speculativen Urtheilen, die kein besonderes Interesse haben und nicht leicht einer apodictischen Gewißheit fähig sind, gemeiniglich der Fall ist), so widersteht denn doch die Eitelkeit anderer mit öffentlicher Genehmigung und die Sachen kommen zulezt dahin, wo die lauterste Gesinnung und Aufrichtigkeit, obgleich weit früher, sie gebracht haben würde. Wo aber das gemeine Wesen davor hält: daß spitzfindige Vernünftler mit nichts minderem umgehen, als die Grundveste der öffentlichen Wolfahrt wankend zu machen, da scheint es nicht allein der Klugheit gemäß, sondern auch erlaubt und wol gar rühmlich, der guten Sache eher durch Scheingründe zu Hülfe zu kommen, als den vermeintlichen Gegnern derselben auch nur den Vortheil zu lassen, unseren Ton zur Mässigung einer blos practischen Ueberzeugung herabzustimmen, und uns zu nöthigen, den Mangel der speculativen und apodictischen Gewißheit zu gestehen. Indessen sollte ich denken: daß sich mit der Absicht, eine gute Sache zu behaupten, in der Welt wol nichts übler, als Hinterlist, Verstellung und Betrug vereinigen lasse. Daß es in der Abwiegung der Vernunftgründe
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_749.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)