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748 Methodenlehre I. Hauptst. II. Absch. 748

Natur komt, eine Anlage zu guten Zwecken enthalten muß, nemlich eine Neigung, seine wahre Gesinnungen zu verheelen und gewisse angenommene, die man vor gut und rühmlich hält, zur Schau zu tragen. Ganz gewiß haben die Menschen durch diesen Hang, so wol sich zu verheelen, als auch einen ihnen vortheilhaften Schein anzunehmen, sich nicht blos civilisirt, sondern nach und nach, in gewisser Maasse, moralisirt, weil keiner durch die Schmincke der Anständigkeit, Ehrbarkeit und Sittsamkeit durchdringen konte, also an vermeintlich ächten Beispielen des Guten, die er um sich sahe, eine Schule der Besserung vor sich selbst fand. Allein diese Anlage, sich besser zu stellen, als man ist und Gesinnungen zu äussern, die man nicht hat, dient nur gleichsam provisorisch dazu, um den Menschen aus der Rohigkeit zu bringen und ihn zuerst wenigstens die Manier des Guten, das er kent, annehmen zu lassen; denn nachher, wenn die ächte Grundsätze einmal entwickelt und in die Denkungsart übergegangen sind, so muß iene Falschheit nach und nach kräftig bekämpft werden, weil sie sonst das Herz verdirbt und gute Gesinnungen, unter dem Wucherkraute des schönen Scheins, nicht aufkommen läßt.

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 Es thut mir leid, eben dieselbe Unlauterkeit, Verstellung und Heucheley sogar in den Aeusserungen der speculativen Denkungsart wahrzunehmen, worin doch Menschen, das Geständniß ihrer Gedanken billiger Maassen offen und unverholen zu entdecken, weit weniger Hindernisse und

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_748.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)