Die Disciplin der reinen Vernunft im dogm. etc. | 717 |
Kette von Schlüssen, immer von der Anschauung geleitet, zur völlig einleuchtenden und zugleich allgemeinen Auflösung der Frage.
Die Mathematik aber construiret nicht blos Grössen, (Quanta), wie in der Geometrie, sondern auch die blosse Grösse (Quantitatem), wie in der Buchstabenrechnung, wobey sie von der Beschaffenheit des Gegenstandes, der nach einem solchen Grössenbegriff gedacht werden soll, gänzlich abstrahirt. Sie wählt sich alsdenn eine gewisse Bezeichnung aller Constructionen von Grössen überhaupt (Zahlen, als der Addition, Subtraction u. s. w.), Ausziehung der Wurzel und, nachdem sie den allgemeinen Begriff der Grössen nach den verschiedenen Verhältnissen derselben auch bezeichnet hat, so stellet sie alle Behandlung, die durch die Grösse erzeugt und verändert wird, nach gewissen allgemeinen Regeln in der Anschauung dar: wo eine Grösse durch die andere dividiret werden soll, sezt sie beider ihre Charactere nach der bezeichnenden Form der Division zusammen u. s. w. und gelangt also vermittelst einer symbolischen Construction eben so gut, wie die Geometrie nach einer ostensiven oder geometrischen (der Gegenstände selbst) dahin, wohin die discursive Erkentniß vermittelst blosser Begriffe niemals gelangen könte.
Was mag die Ursache dieser so verschiedenen Lage seyn, darin sich zwey Vernunftkünstler befinden, deren der eine seinen Weg nach Begriffen, der andere nach Anschauungen nimt, die er a priori den Begriffen gemäß darstellet.
stellet. |
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_717.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)