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656 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. 656

zunächst auf ein Individuum bezogen seyn könne, folglich iederzeit andere Begriffe, d. i. Unterarten unter sich enthalten müsse. Dieses Gesetz der Specification könte so ausgedrückt werden: entium varietates non temere esse minuendas.

 Man sieht aber leicht: daß auch dieses logische Gesetz ohne Sinn und Anwendung seyn würde, läge nicht ein transscendentales Gesetz der Specification zum Grunde, welches zwar freilich nicht von den Dingen, die unsere Gegenstände werden können, eine wirkliche Unendlichkeit in Ansehung der Verschiedenheiten fodert, denn dazu giebt das logische Princip, als welches lediglich die Unbestimtheit der logischen Sphäre in Ansehung der möglichen Eintheilung behauptet, keinen Anlaß, aber dennoch dem Verstande auferlegt, unter ieder Art, die uns vorkomt, Unterarten und zu ieder Verschiedenheit kleinere Verschiedenheiten zu suchen. Denn würde es keine niedere Begriffe geben, so gäbe es auch keine höhere. Nun erkent der Verstand alles nur durch Begriffe: folglich, so weit er in der Eintheilung reicht, niemals durch blosse Anschauung, sondern immer wiederum durch niedere Begriffe. Die Erkentniß der Erscheinungen in ihrer durchgängigen Bestimmung (welche nur durch Verstand möglich ist) fodert eine unaufhörlich fortzusetzende Specification seiner Begriffe und einen Fortgang zu immer noch bleibenden Verschiedenheiten, wovon in dem Begriffe der Art, und noch mehr, dem der Gattung, abstrahirt worden.

Auch
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_656.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)