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645 VII. Absch. Critik aller speculativen Theologie. 645

nothwendig, wenn wir ausser den Gegenständen, die uns vor Augen sind, auch dieienige zugleich sehen wollen, die weit davon uns im Rücken liegen, d. i. wenn wir, in unserem Falle, den Verstand über iede gegebene Erfahrung (dem Theile der gesamten möglichen Erfahrung) hinaus, mithin auch zur größtmöglichen und äussersten Erweiterung abrichten wollen.

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 Uebersehen wir unsere Verstandeserkentnisse in ihrem ganzen Umfange, so finden wir, daß dasienige, was Vernunft ganz eigenthümlich darüber verfügt und zu Stande zu bringen sucht, das Systematische der Erkentniß sey, d. i. der Zusammenhang derselben aus einem Princip. Diese Vernunfteinheit sezt iederzeit eine Idee voraus, nemlich die von der Form[WS 1] eines Ganzen der Erkentniß, welches vor der bestimten Erkentniß der Theile vorhergeht und die Bedingungen enthält, iedem Theile seine Stelle und Verhältniß zu den übrigen a priori zu bestimmen. Diese Idee postulirt demnach vollständige Einheit der Verstandeserkentniß, wodurch diese nicht blos ein zufälliges Aggregat, sondern ein nach nothwendigen Gesetzen zusammenhangendes System wird. Man kan eigentlich nicht sagen: daß diese Idee ein Begriff vom Obiecte sey, sondern von der durchgängigen Einheit dieser Begriffe, so fern dieselbe dem Verstande zur Regel dient. Dergleichen Vernunftbegriffe werden nicht aus der Natur geschöpft, vielmehr befragen wir die Natur nach diesen Ideen und halten unsere Erkentniß vor mangelhaft, so lange sie

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 645. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_645.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)