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606 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. 606

einzige, dadurch ein nothwendiges Wesen gedacht werden kan, d. i. es existirt ein höchstes Wesen nothwendiger Weise.

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 In diesem cosmologischen Argumente kommen so viel vernünftelnde Grundsätze zusammen, daß die speculative Vernunft hier alle ihre dialectische Kunst aufgeboten zu haben scheint, um den größtmöglichen transscendentalen Schein zu Stande zu bringen. Wir wollen ihre Prüfung indessen eine Weile bey Seite setzen, um nur eine List derselben offenbar zu machen, mit welcher sie ein altes Argument in verkleideter Gestalt vor ein neues aufstellt und sich auf zweier Zeugen Einstimmung beruft, nemlich einem reinen Vernunftzeugen und einem anderen von empirischer Beglaubigung, da es doch nur der erstere allein ist, welcher blos seinen Anzug und Stimme verändert, um vor einen zweiten gehalten zu werden. Um seinen Grund recht sicher zu legen, fusset sich dieser Beweis auf Erfahrung und giebt sich dadurch das Ansehen, als sey er vom ontologischen Beweise unterschieden, der auf lauter reine Begriffe a priori sein ganzes Vertrauen sezt. Dieser Erfahrung aber bedient sich der cosmologische Beweis nur, um einen einzigen Schritt zu thun, nemlich zum Daseyn eines nothwendigen Wesens überhaupt. Was dieses vor Eigenschaften habe, kan der empirische Beweisgrund nicht lehren, sondern da nimt die Vernunft gänzlich von ihm Abschied und forscht hinter lauter Begriffen: was nemlich ein absolutnothwendiges Wesen überhaupt

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_606.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)