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506 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst. 506

welche niemals weder an sich ihrer Totalität nach als endlich, noch als unendlich angesehen werden kan, weil sie als Reihe subordinirter Vorstellungen, nur im dynamischen Regressus besteht, vor demselben aber und, als vor sich bestehende Reihe von Dingen, an sich selbst gar nicht existiren kan.

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 So wird demnach die Antinomie der reinen Vernunft bey ihren cosmologischen Ideen gehoben, dadurch, daß gezeigt wird: sie sey blos dialectisch und ein Widerstreit eines Scheins, der daher entspringt, daß man die Idee der absoluten Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge an sich selbst gilt, auf Erscheinungen angewandt hat, die nur in der Vorstellung und, wenn sie eine Reihe ausmachen, im successiven Regressus, sonst aber gar nicht existiren. Man kan aber auch umgekehrt aus dieser Antinomie einen wahren, zwar nicht dogmatischen, aber doch critischen und doctrinalen Nutzen ziehen: nemlich die transscendentale Idealität der Erscheinungen dadurch indirect zu beweisen, wenn iemand etwa an dem directen Beweise in der transscendentalen Aesthetik nicht genug hätte. Der Beweis würde in diesem Dilemma bestehen. Wenn die Welt ein an sich existirendes Ganze ist: so ist sie entweder endlich, oder unendlich; Nun ist das erstere sowol als das zweite falsch (laut den oben angeführten Beweisen der Antithesis, einer und der Thesis anderer Seits). Also ist es auch falsch, daß die Welt (der Inbegriff aller Erscheinungen) ein an sich existirendes Ganze

sey.
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_506.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)