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503 VII. Absch. Critische Entscheidung des cosmol. etc. 503

einander entgegengesezte Urtheile eine unstatthafte Bedingung voraussetzen, so fallen sie, unerachtet ihres Widerstreits (der gleichwol kein eigentlicher Widerspruch ist), alle beide weg, weil die Bedingung wegfällt, unter der allein ieder dieser Sätze gelten solte.

 Wenn iemand sagte: ein ieder Cörper riecht entweder gut, oder er riecht nicht gut, so findet ein Drittes statt, nemlich: daß er gar nicht rieche, (ausdufte) und so können beide widerstreitende Sätze falsch seyn. Sage ich, er ist entweder wolriechend, oder er ist nicht wolriechend: (vel suaueolens vel non suaueolens) so sind beide Urtheile einander contradictorisch entgegengesezt und nur der erste ist falsch, sein contradictorisches Gegentheil aber, nemlich einige Cörper sind nicht wolriechend, befaßt auch die Cörper in sich, die gar nicht riechen. In der vorigen Entgegenstellung (per disparata) blieb die zufällige Bedingung des Begriffs der Cörper (der Geruch) noch bey dem widerstreitenden Urtheile, und wurde durch dieses also nicht mit aufgehoben, daher war das leztere nicht das contradictorische Gegentheil des ersteren.

 Sage ich demnach: die Welt ist dem Raume nach entweder unendlich, oder sie ist nicht unendlich (non est infinitus), so muß, wenn der erstere Satz falsch ist, sein contradictorisches Gegentheil: die Welt ist nicht unendlich, wahr seyn. Dadurch würde ich nur eine unendliche Welt aufheben ohne eine andere, nemlich die endliche, zu setzen.

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_503.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)