Seite:Kant Critik der reinen Vernunft 467.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
467 III. Absch. Von dem Interesse der Vernunft etc. 467

so kan man völlig a priori die ganze Kette der Bedingungen fassen, und die Ableitung des Bedingten begreifen, indem man vom Unbedingten anfängt, welches die Antithesis nicht leistet, die dadurch sich sehr übel empfielt, daß sie auf die Frage, wegen der Bedingungen ihrer Synthesis, keine Antwort geben kan, die nicht ohne Ende immer weiter zu fragen übrig liesse. Nach ihr muß man von einem gegebenen Anfange zu einem noch höheren aufsteigen, ieder Theil führt auf einen noch kleineren Theil, iede Begebenheit hat immer noch eine andere Begebenheit als Ursache über sich, und die Bedingungen des Daseyns überhaupt stützen sich immer wiederum auf andere, ohne iemals in einem selbstständigen Dinge als Urwesen unbedingte Haltung und Stütze zu bekommen.

 Drittens hat diese Seite auch den Vorzug der Popularität, der gewiß nicht den kleinesten Theil seiner Empfehlung ausmacht. Der gemeine Verstand findet in den Ideen des unbedingten Anfangs aller Synthesis nicht die mindeste Schwierigkeit, da er ohnedem mehr gewohnt ist, zu den Folgen abwerts zu gehen, als zu den Gründen hinaufzusteigen, und hat in den Begriffen des absolut Ersten (über dessen Möglichkeit er nicht grübelt) eine Gemächlichkeit und zugleich einen festen Punct, um die Leitschnur seiner Schritte daran zu knüpfen, da er hingegen an dem rastlosen Aufsteigen vom Bedingten zur Bedingung, iederzeit mit einem Fuße in der Luft, gar kein Wolgefallen finden kan.

Auf Gg 2 Auf
Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_467.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)