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364 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. 364

 Wenn gleich der Satz einiger alten Schulen: daß alles fliessend und nichts in der Welt beharrlich und bleibend sey, nicht statt finden kan, sobald man Substanzen annimt, so ist er doch nicht durch die Einheit des Selbstbewustseyns widerlegt. Denn wir selbst können aus unserem Bewustseyn darüber nicht urtheilen, ob wir als Seele beharrlich sind, oder nicht, weil wir zu unserem identischen Selbst nur dasienige zehlen, dessen wir uns bewust seyn, und so allerdings nothwendig urtheilen müssen: daß wir in der ganzen Zeit, deren wir uns bewust seyn, eben dieselbe sind. In dem Standpuncte eines Fremden aber können wir dieses darum noch nicht vor gültig erklären, weil, da wir an der Seele keine beharrliche Erscheinung antreffen, als nur die Vorstellung Ich, welche sie alle begleitet und verknüpft, so können wir niemals ausmachen, ob dieses Ich (ein blosser Gedanke) nicht eben sowol fliesse, als die übrige Gedanken, die dadurch an einander gekettet werden.

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Es

    [364] einflösste, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihren Zustand, samt dessen Bewustseyn, der zweiten, diese ihren eigenen Zustand, samt dem der vorigen Substanz, der dritten und diese eben so die Zustände aller vorigen, samt ihrem eigenen und deren Bewustseyn, mittheilete. Die lezte Substanz würde also aller Zustände der vor ihr veränderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewust seyn, weil iene zusamt dem Bewustseyn in sie übertragen worden, und dem unerachtet, würde sie doch nicht eben dieselbe Person in allen diesen Zuständen gewesen seyn.

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_364.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)