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332 Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. 332

und nicht schon ganz vorausgesezte oder gegebene Reihe, mithin nur ein potentialer Fortgang gedacht wird. Daher wenn eine Erkentniß als bedingt angesehen wird, so ist die Vernunft genöthigt, die Reihe der Bedingungen in aufsteigender Linie als vollendet und ihrer Totalität nach gegeben anzusehen. Wenn aber eben dieselbe Erkentniß zugleich als Bedingung anderer Erkentnisse angesehen wird, die unter einander eine Reihe von Folgerungen in absteigender Linie ausmachen, so kan die Vernunft ganz gleichgültig seyn, wie weit dieser Fortgang sich a parte posteriori erstrecke, und ob gar überall Totalität dieser Reihe möglich sey; weil sie einer dergleichen Reihe zu der vor ihr liegenden Conclusion nicht bedarf, indem diese durch ihre Gründe a parte priori schon hinreichend bestimt und gesichert ist. Es mag nun seyn: daß auf der Seite der Bedingungen die Reihe der Prämissen ein Erstes habe, als oberste Bedingung oder nicht, und also a parte priori ohne Gränzen, so muß sie doch Totalität der Bedingung enthalten, gesezt, daß wir niemals dahin gelangen könten, sie zu fassen, und die ganze Reihe muß unbedingt wahr seyn, wenn das Bedingte, welches als eine daraus entspringende Folgerung angesehen wird, als wahr gelten soll. Dieses ist eine Foderung der Vernunft, die ihr Erkentniß als a priori bestimt und als nothwendig ankündigt, entweder an sich selbst, und denn bedarf es keiner Gründe, oder, wenn es abgeleitet ist, als ein Glied einer Reihe von Gründen, die selbst unbedingter Weise wahr ist.


Des
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_332.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)