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61 Einleitung. 61

arm seyn mag, daß iene allgemeine Logik, die blos ein Canon zur Beurtheilung ist, gleichsam wie ein Organon zur wirklichen Hervorbringung wenigstens dem Blendwerk von obiectiven Behauptungen gebraucht, und mithin in der That dadurch gemisbraucht worden. Die allgemeine Logik nun als vermeintes Organon, heißt Dialectik.

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 So verschieden auch die Bedeutung ist, in der die Alten dieser Benennung einer Wissenschaft oder Kunst sich bedienten, so kan man doch aus dem wirklichen Gebrauche derselben sicher abnehmen, daß sie bey ihnen nichts anders war, als die Logik des Scheins. Eine sophistische Kunst, seiner Unwissenheit, ia auch seinen vorsetzlichen Blendwerken den Anstrich der Wahrheit zu geben, daß man die Methode der Gründlichkeit, welche die Logik überhaupt vorschreibt, nachahmete, und ihre Topik zu Beschönigung iedes leeren Vorgebens benutzte. Nun kan man es als eine sichere und brauchbare Warnung anmerken: daß die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, iederzeit eine Logik des Scheins, d. i. dialectisch sey. Denn da sie uns gar nichts über den Inhalt der Erkentniß lehret, sondern nur blos die formale Bedingungen der Uebereinstimmung mit dem Verstande, welche übrigens in Ansehung der Gegenstände gänzlich gleichgültig seyn; so muß die Zumuthung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen, um seine Kentnisse, wenigstens dem Vorgeben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwätzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 061. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_061.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)