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47 II. Abschnitt. Von der Zeit. 47

Gewisheit erkant werden, so frage ich: woher nehmt ihr dergleichen Sätze, und worauf stützt sich unser Verstand, um zu dergleichen schlechthin nothwendigen und allgemein gültigen Wahrheiten zu gelangen. Es ist kein anderer Weg, als durch Begriffe oder durch Anschauungen; beydes aber, als solche, die entweder a priori oder a posteriori gegeben sind. Die letztere, nämlich empirische Begriffe, imgleichen das, worauf sie sich gründen, die empirische Anschauung, können keinen synthetischen Satz geben, als nur einen solchen, der auch blos empirisch d. i. ein Erfahrungssatz ist, mithin niemals Nothwendigkeit und absolute Allgemeinheit enthalten kan, dergleichen doch das Characteristische aller Sätze der Geometrie ist. Was aber das erstere und einzige Mittel seyn würde, nemlich durch blosse Begriffe oder durch Anschauungen a priori zu dergleichen Erkentnissen zu gelangen, so ist klar, daß aus blossen Begriffen gar keine synthetische Erkentniß, sondern lediglich analytische erlangt werden kan. Nehmet nur den Satz: daß durch zwey gerade Linien sich gar kein Raum einschliessen lasse, mithin keine Figur möglich sey, und versucht ihn, aus dem Begriff von geraden Linien und der Zahl zwey abzuleiten, oder auch, daß aus dreyen geraden Linien eine Figur möglich sey, und versucht es eben so, blos aus diesen Begriffen. Alle eure Bemühung ist vergeblich, und ihr seht euch genöthiget, zur Anschauung eure Zuflucht zu nehmen, wie es die Geometrie auch iederzeit thut. Ihr gebt euch also einen Gegenstand in der Anschauung;

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 047. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_047.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)