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Voltaire: Kandide. Erster Theil

nur zwanzig; den Tag darauf gar nur zehne, und all’ seine Kameraden gaften ihn als ein blaues Meerwunder an.

Kandide war noch ganz bestürzt, konnte gar nicht recht begreifen, wie er so im Hui zum Helden geworden sei. An einem schönen Frühlingsmorgen fällt’s ihm ein, spazieren zu gehn. Er schlendert grade vor sich hin, der Meinung: die Menschen hätten so wohl wie die Thiere das Vorrecht, sich ihrer Beine nach Belieben zu bedienen. Kaum hat er zwei Meilen gemacht, wie ein Bliz sind ihm vier andre sechsschuhige Helden auf den Hals, binden ihn, und werfen ihn in ein Loch, wohin nicht Sonne nicht Mond kam.

Ein wohllöbliches Kriegsgericht fragte ihn, was er lieber wollte, sechsunddreissigmal Spiesruten laufen oder sich drei bleierne Kugeln mit eins in’s Gehirn jagen lassen. Kandide hatte gut sagen, daß des Menschen Wille frei sei und daß er keins von beiden möchte; das half nichts, er mußte wälen. Sonach entschlos er sich denn, kraft der lieben Gottesgabe, Willensfreiheit genannt, sechsunddreissigmal Spiesruten zu laufen.

Zweimal hatte er die Wandrung gemacht, Gass’ auf, Gass’ ab; und weil das Regiment aus zweitausend Mann bestand, hatt’ er seine viertausend Hiebe richtig weg. Alle Mäuslein und Spannadern vom Nakken an bis zum Wirbelbein

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_011.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)