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     Fuhr der alte Wäinämöinen
Mit der Segel lautem Rauschen
Auf dem kupferreichen Boote,
Auf dem erzbeschlagnen Nachen,
Zu den höhern Länderstrecken,
Zu den niedern Himmelsräumen.
     Blieb mit seinem Boot dort haften,
Mit dem Nachen dorten stehen,
Doch zurück ließ er die Harfe,

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Ließ das schöne Spiel in Suomi

Zu des Volkes ew’ger Freude,
Schönen Sang den Suomikindern.

* * *

     Werd’ den Mund nun schließen müssen,
Meine Zunge fest nun binden,
Werde von dem Liede lassen,
Von dem muntern Sange abstehn;
Ruhen müssen selbst die Rosse,
Wenn sie lange sind gelaufen,
Auch das Eisen selbst ermattet,

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Wenn es Sommergras gehauen,

Auch das Wasser sinket nieder,
Wenn es in dem Flusse laufet,
Selbst das Feuer muß verlöschen,
Wenn es in der Nacht gelodert;
Warum sollt’ der Sang nicht endlich,
Nicht das Lied zuletzt ermatten
Nach des Abends langer Freude,
Nach dem Untergang der Sonne?
     Also hört’ ich oftmals sagen,

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Hört’ ich oftmals wiederholen:

„Selbst des Wasserfalles Strömung
Läßt nicht alles Wasser fließen,
Also wird der gute Sänger
Auch nicht alle Lieder singen;
Besser ist es aufzuhören,
Als zur Mitte abzubrechen.“
     So beginnend, also endend,
So beschließend, so verlassend,
Wickle ich zum Knäul die Lieder,

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Roll’ ich sie zu einem Bündel,

Thu’ sie zu der Kammer Vorrath,
In des Knochenschlosses Innre,
Daß sie niemals dort entrinnen,
Nicht im Lauf der Zeit entkommen,
Ohne daß das Schloß man öffnet,
Daß die Knochen auf man thuet,
Daß die Zähne auf man sperret
Und die Zunge man beweget.
     Was auch wär’ es, wenn ich sänge,

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Viele schlechte Lieder sänge,

Wenn in jeden Tahl ich sän’ge
Ich im Föhrenhaine lärmte?
Nicht am Leben ist die Mutter,
Nicht die Alte wach hier oben,
Nicht mehr kann die Goldne hören,
Kann die Liebe es vernehmen;
Fichten sind es, die mich hören,
Tannenzweige, die’s vernehmen,
Birkenkronen voller Güte,

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Ebereschen, die mir hold sind.

     Klein verließ mich meine Mutter,
Unerwachsen mich die Theure,
Auf dem Fels blieb ich als Lerche,
Als ein Drosselchen auf Steinen,
Gleich der Lerche dort zu zwitschern,
Gleich der Drossel dort zu lärmen,
In der Obhut einer Fremden,
In stiefmütterlicher Pflege;
Diese trieb den armen Knaben,

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Trieb das Kind ohn’ alle Liebe

Zu der Windseite der Stube,
Nach der Nordseite des Hauses,
Daß der Wind den Schutzentblößten,
Unbarmherzig mich entführte.
     Fing als Lerche an zu ziehen,
Fing als Vöglein an zu wandern,
Still am Boden hinzuschreiten,
Mühvoll meinen Weg zu wandeln,
Lernte jeden Wind da kennen,

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Jedes Brausen ich begreifen,

In dem Froste lernt’ ich zittern,
In der Kälte lernt’ ich klagen.
     Giebt auch jetzt gar viele Menschen,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_295.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)