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Dreiundvierzigste Rune.


     Rief Pohjola’s Wirthin Louhi
Nun des Nordlands Volk zusammen,
Gab den Schaaren ihre Bogen,
Lieh den Männern ihre Schwerter,
Rüstet’ aus des Nordlands Nachen,
Macht’ zurecht das Krieges-Fahrzeug.
     Setzt die Männer in den Nachen,
Rüstet aus die Kampfeshelden,
Wie die Ente ihre Jungen,

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Ihre Kinder fleißig ordnet,

Hundert Männer mit den Schwertern,
Tausend Helden mit dem Bogen.
     Richtet auf den Mast im Boote,
Sorget für die Segelstangen,
Ziehet auf den Mast die Segel,
Leinwand an die Segelstangen,
Lang gleich einer Hängewolke,
Gleich dem Wolkenknäul am Himmel;
Macht sich auf davon zu fahren,

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Fährt darauf mit großer Eile

Um den Sampo fortzubringen
Aus dem Boote Wäinämöinen’s.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Steuerte im blauen Meere,
Redet’ selber diese Worte,
Sprach am Steuer seines Bootes:
„O du muntrer Sohn von Lempi,
Du, der höchste meiner Freunde,
Steige an des Mastbaums Spitze,

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Klettre auf die Segelstange,

Blicke vor dir in die Lüfte,
Spähe hinterwärts am Himmel,
Ob der Lüfte Ränder klar sind,
Ob sie klar sind oder trübe!“
     Stieg der muntre Lemminkäinen,
Dieser lebensfrische Bursche,
Stets bereit auch ungebeten,
Voller Raschheit ungepriesen,
Zu des Mastbaums hoher Spitze,

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Kletterte zur Segelstange;

Schaut nach Osten, schaut nach Westen,
Schaut nach Nordwest, schaut nach Süden,
Schaut zum Ufer von dem Nordland,
Redet Worte solcher Weise:
„Klar erscheinen vorn die Lüfte,
Trüb ist hinter mir der Himmel,
Eine kleine Wolk’ im Norden,
Eine Hängewolk’ in Nordwest.“
     Sprach der alte Wäinämöinen:

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„Redest wahrlich nicht die Wahrheit;

Ist wohl schwerlich ein Gewölke,
Schwerlich eine Hängewolke,
Ist ein Boot mit seinen Segeln;
Schaue nochmals scharfen Blickes!“
     Schaute nochmals, schaute schärfer,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Scheint von Ferne her ein Eiland,
Aus dem Süden eine Insel,
Espen angefüllt mit Falken,

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Birken voll von Auerhähnen.“

     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Redest wahrlich nicht die Wahrheit,
Sind daselbst ja keine Falken,
Auch nicht Auerhähne dorten,
Sind die Knaben von Pohjola,
Schaue scharf zum dritten Male!“
     Selbst der muntre Lemminkäinen
Schaute nun zum dritten Male,
Redet’ Worte solcher Weise,

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Ließ auf diese Art sich hören:

„Kommt ein Boot daher von Norden,
Schlägt das Meer mit hundert Rudern,
Hundert Männer sind am Ruder,
Tausend sitzen in dem Boote.“
     Wußt’ der alte Wäinämöinen
Endlich nun die ganze Wahrheit,
Redet’ Worte solcher Weise:
„Rudre, Schmieder Ilmarinen,
Rudre, muntrer Lemminkäinen,

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Rudert alle ihr, o Leute,
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_251.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)