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     Selbst der Schmieder Ilmarinen

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Biß die Lippen, schiefen Hauptes,

Fuhr gar rauschend fort die Straße
Über Nacht zum neuen Dorfe.
     Von dem Wege gar ermüdet
Schlummerte der Schmied gar kräftig,
Lachen macht das Weib ein andrer
Ob des Mannes, der verschlafen.
     Als der Schmieder Ilmarinen
An dem Morgen drauf erwachte,
Schief den Mund und Kopf gewendet,

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Schief das schwarze Haar geschoben;

Spricht der Schmieder Ilmarinen
Selber Worte solcher Weise:
„Soll ich mich an’s Singen machen,
Soll ich meine Braut nun bannen
Als ein Waldthier hin zum Walde,
Als ein Wasserthier zum Wasser?“
     „Werd’ sie nicht zum Waldthier singen,
Würde sich der Wald entsetzen;
Werd’ sie nicht in’s Wasser bannen,

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Würden alle Fische fliehen;

Lieber will mit meiner Klinge,
Mit dem Schwerte ich sie tödten.“
     Seine Absicht ahnt die Klinge,
Deutlich wird sein Sinn dem Schwerte,
Dieses redet solche Worte:
„Bin wohl nicht dazu geschaffen,
Daß ich Weiber tödten sollte,
Schwache um ihr Leben bringen.“
     Nun beginnt Schmied Ilmarinen

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Endlich voller Kraft zu singen,

Fängt voll Zorn er an zu sprechen;
Wandelte sein Weib zur Möve,
Daß sie auf den Klippen schrille,
Auf den Wasserfelsen kreische,
Auf des Ufers Spitzen kreise,
In dem Gegenwinde schwebe.
     Darauf setzt Schmied Ilmarinen
Wiederum sich in den Schlitten,
Eilet rauschend fort des Weges,

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Kopfgesenkt und schlechter Laune

Reist er wieder nach der Heimath,
Kommt er nach bekanntem Lande.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Kommt ihm auf dem Weg entgegen,
Redet Worte solcher Weise:
„Bruder, du Schmied Ilmarinen,
Weßhalb bist du trüber Stimmung,
Hast die Mütze schief geschoben
Bei der Rückkehr aus Pohjola?

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Wie denn lebet jetzt Pohjola?“

     Sprach der Schmieder Ilmarinen:
„Wie sollt’ Pohjola nicht leben?
Dorten mahlt der Sampo fleißig,
Lärmet stets der bunte Deckel,
Mahlet einen Tag zum Essen,
Mahlt den zweiten zum Verkaufen,
Mahlt den dritten guten Vorrath.“
     „Also sage ich mit Wahrheit,
Wiederhole ich die Worte:

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Wie das Leben in Pohjola,

Wenn der Sampo in Pohjola!
Dort ist Pflügen, dort ist Säen,
Dort ist Wachsthum jeder Weise,
Dorten wechsellose Wohlfahrt.“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Bruder, du Schmied Ilmarinen!
Wo hast du dein Weib gelassen,
Wo die weitberühmte Jungfrau,
Daß du also leer erschienen,

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Ohne Weib kommst angefahren?“

     Selbst der Schmieder Ilmarinen
Redet Worte dieser Weise:
„Hab’ das garst’ge Weib verwandelt
Auf dem Meer zu einer Möve;
Jetzo wimmert sie als Möve,
Kreischt sie dorten voller Stöhnen,
Lärmt sie auf des Wassers Klippen,
Schreit sie auf des Meeres Felsen.“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_228.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)