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In der Asche bis zum Arme,
In der Hand den Kohlenhaken,
Um des Feuers Kraft zu mehren,
Um die Kohlen dicht zu schüren,
Nicht ein Härchen war versenget,

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Nicht verletzet eine Locke.

     Untamo ward gar verdrießlich:
„Wohin soll ich mit dem Knaben,
Wie in Unglück ihn versetzen,
Daß den Tod er endlich finde?
Läßt an einen Baum ihn hängen,
Ihn an eine Eiche knüpfen.“
     Drei der Nächte schon vergingen,
Eben soviel auch der Tage,
Untamoinen überlegte:

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„Zeit ist’s nun um nachzusehen,

Ob Kullerwo schon verkommen,
Ob am Baume schon gestorben.“
     Sandte seinen Knecht zu schauen,
Dieses bracht’ der Knecht als Antwort:
„Nicht verkommen ist Kullerwo,
Nicht am Baume er gestorben,
Ritzet Bilder in die Bäume,
Hat ein Stäbchen in den Händen,
Voll von Bildern sind die Bäume,

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Voller Schnitzwerk ist die Eiche,

Männer sind dort und auch Schwerter,
Haben an der Seite Speere.“
     Wer wohl sollt’ Untamo helfen
Mit dem unglücksel’gen Knaben;
Welchen Tod er auch bereitet,
Welch Verderben er auch aussinnt,
Nicht geräth er in’s Verderben,
Nicht verkommt der böse Knabe.
     Mußte endlich doch ermüden

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In der Lust ihn zu verderben,

Mußte Kullerwo erziehen,
Ihn, den Knecht, gleich seinem Kinde.
     Untamoinen sprach die Worte,
Redet selbst auf diese Weise:
„Wirst du schicklich dich betragen,
Stets wie sich’s gebühret leben,
Sollst in diesem Haus du bleiben,
Sollst du Knechtes Dienste leisten,
Sollst du Lohn dafür erhalten,

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Nach Verdienst du ihn bekommen,

Für den Leib du einen Gürtel,
Oder Streiche an die Ohren.“
     Als Kullerwo nun gewachsen,
Eine Spanne hoch geworden,
Schickte er ihn an die Arbeit,
Daß Beschäftigung er hätte,
Läßt ein kleines Kind ihn warten,
Ihn ein Fingerlanges wiegen:
„Schaue fleißig nach dem Kinde,

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Gieb ihm Essen, iß auch selber,

Spül’ die Linnen in dem Flusse,
Wasch des Kindes kleine Kleider!“
     Wartet einen Tag, den zweiten,
Bricht die Hände, sticht die Augen,
Läßt das Kind am dritten Tage
Durch die Krankheit vollends sterben,
Wirft die Linnen in das Wasser
Und verbrennt des Kindes Wiege.
     Untamo nen überlegte:

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„Nimmer wird er dazu taugen,

Kleine Kinder gut zu warten,
Fingerlange gut zu wiegen;
Weiß nicht, wo ich ihn gebrauchen,
Wozu ihn verwenden sollte,
Soll er mir die Waldung fällen?“
Hieß ihn nun die Waldung fällen.
     Kullerwo, der Sohn Kalerwo’s,
Redet Worte solcher Weise:
„Dann erst will ein Mann ich scheinen,

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Wenn das Beil mir in den Händen,

Bin weit schöner anzuschauen,
Bin weit lieblicher als früher,
Dünke mich gleich fünf des Männer,
Sechs der Helden gleich an Werthe.“
     Ging zum Schmiede in die Esse,
Redet Worte solcher Weise:
„Höre Schmied, geliebter Bruder,
Schmiede mir ein gutes Beilchen,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_195.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)