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     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Er, der schöne Kaukomieli:
„Also ist es nun, o Mutter,

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Ärmste, die du mich getragen!

Hast der Hühner Schaar erzogen,
Ganze Schwärme du von Schwänen,
Kam der Wind, zerstreut dieselben,
Lempo, um sie zu zersprengen,
Eins hierher, dorthin das andre,
Und das dritte irgendwohin.“
     „Denke wohl an frühre Zeiten,
Denke sehr an bess’re Tage,
Wanderte da gleich der Blume,

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Gleich der Beere in der Heimath,

Mancher sah auf unsern Körper,
Schaute, wie wir schön gewachsen,
Anders als in dieser Stunde,
Als in dieser Zeit voll Unheil:
Da den Wind allein wir kennen,
Und die Sonne früher schauten,
Die die Wolken jetzt verhüllen
Und der Regen uns verdecket.“
     „Haben uns nicht sehr gekümmert,

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Nicht gekümmert voller Sorgen,

Ob die Mädchen freudig lebten,
Ob die Schöngelockten lärmten,
Ob die Weiber voller Lachen,
Süßgestimmt die Bräute wären,
Ohne Thränen bei der Sehnsucht,
Ohne Schwächung bei den Sorgen.“
     „Noch sind wir hier nicht verzaubert,
Nicht verzaubert und verhexet,
Auf den Wegen hier zu sterben,

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Auf der Reise hinzusinken,

In der Jugend hinzustürzen
Und so frisch noch umzukommen.“
     „Wen die Zauberer bezaubern,
Wen die Hexer kräftig bannen,
Mögen sie nach Hause schaffen,
In der Heimath niederlegen,
Mögen selber sich bezaubern,
Ihre Kinder sie behexen,
Ihr Geschlecht zum Tode bringen,

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Zu Verderben die Verwandtschaft!“

     „Niemals hat mein Vater früher,
Niemals er, der greise Alte,
Einem Zaubrer je willfahret,
Einem Lappensohn gefröhnet.
Also redete mein Vater,
Also rede ich auch selber:
„Schirme du, o starker Schöpfer,
Hüte du, o Gott voll Schönheit,
Schütz’ mit deinen Gnadenarmen,

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Du mit deinen großen Kräften,

Du der Männer Sinnes Richtung,
Die Gedanken du der Weiber,
Das Gespräch der Bartgeschmückten,
Das Gespräch der Bartberaubten!
Sei du uns zu ew’ger Hülfe,
Uns ein zuverläss’ger Hüter,
Daß ein Kind nicht fortgerathe,
Sich der Mutter Kind verliere
Von dem Wege seines Schöpfers,

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Von der Bahn, die Gott gewiesen!“

     Schuf der muntre Lemminkäinen,
Selbst der schöne Kaukomieli,
Dann aus Sorgen rasche Rosse,
Schwarze Pferde aus dem Kummer,
Zügel aus den bösen Tagen,
Sattel aus geheimem Schaden;
Hob sich auf des Rosses Rücken,
Auf das Kreuz des Weißbestirnten,
Macht’ sich schweren Schritts von dannen,

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An der Seite seines Tiera,

Jagt’ am Strande gar beschwerlich
In dem Sande voller Mühe
Hin zu seiner lieben Mutter,
Hin zu ihr, der greisen Alten.
     Lasse nun den Kauko länger
Fort aus meinem Liede bleiben,
Weise Tiera auf die Wege,
Daß er nach der Heimath komme,
Selber will den Sang ich wenden,

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Ihn auf andre Pfade führen.
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_192.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)