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Längs der nebelreichen Spitze,
Längs dem waldbedeckten Eiland.
     Annikki mit gutem Namen
Sah nun schon das Fahrzeug kommen,
Sah das plankenreiche nahen,
Redet selber solche Worte:
„Bist du meines Bruders Fahrzeug,
Du der Nachen meines Vaters,
Eile rascher nach der Heimath,

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Wende dich zum eignen Lande,

Mit der Spitz’ zu diesen Walzen,
Mit dem Steu’r zu andern Walzen;
Bist du, Boot, aus fremder Ferne,
Mögst du immer weiter schwimmen
Mit der Spitz’ zu andern Walzen,
Mit dem Steu’r zu diesen Walzen!“
     War kein Boot des Heimathlandes,
War auch nicht aus fremder Ferne,
War der Nachen Wäinämöinen’s,

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War des ew’gen Sängers Fahrzeug;

Kommt bereits in größre Nähe,
Eilt herbei zur Unterredung,
Bringt ein Wort und nimmt ein andres,
Um das dritte gut zu sprechen.
     Annikki mit gutem Namen,
Sie, der Nacht und Dämmrung Tochter,
Fraget so gewandt zum Fahrzeug:
„Wohin gehst du, Wäinämöinen,
Wohin du, o Freund der Wogen,

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Wohin eilst du, Zier des Landes?“

     Darauf redet Wäinämöinen
Er, der Alte, her vom Boote:
„Bin auf Lachsfang ausgegangen,
Zu der Lachse munterm Laichen
In dem schwarzen Strom Tuoni’s,
In des schilf’gen Baches Tiefe.“
     Annikki mit gutem Namen
Redet Worte solcher Weise:
„Sprich nicht lauter leere Lügen!

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Kenne gut der Fische Laichzeit,

Früher fuhr mein Vater oftmals,
Fuhr gar oft der greise Alte,
Lachse aus dem Fluß zu fangen,
Lachsforellen mitzubringen:
Netze lagen in dem Boote,
Voll von Garnen war das Fahrzeug,
Netze hier und dorten Schnüre,
Große Stangen an den Seiten,
Gabeln an den Ruderbänken,

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Lange Stöcke bei dem Steuer;

Wohin gehst du, Wäinämöinen,
Ziehst du aus, o Freund der Wogen?“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Zog hinaus, wollt’ Gänse fangen,
Zu dem Spiel der Buntbeschwingten,
Um die speichelreichen Vögel
In dem Sachsensund zu fangen,
In der ausgedehnten Weite.“
     Annikki mit gutem Namen

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Redet Worte solcher Weise:

„Kenne wohl den Wahrheitsprecher,
Kann den Lügner bald entdecken;
Früher fuhr mein Vater oftmals,
Fuhr gar oft der greise Alte
Aus um Gänse einzufangen,
Rothgeschnäbelte zu jagen:
Wohl bespannet war der Bogen,
Aufgezogen war die Sehne,
Schwarze Hunde an der Kette,

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An dem Bogen festgebunden,

Welpen liefen an dem Strande,
Kläffer eilten durch die Steine;
Sprich die Wahrheit, Wäinämöinen,
Wohin soll die Reise gehen?“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Wenn ich nun von dannen ziehe,
Hin zum großen Kampfgetümmel,
Zu der Schlacht mit gleichen Köpfen,
Wo das Schienbein blutbeflecket,

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Rothgefärbt am Knie die Beine.“

     Immer weiter spricht Annikki,
Sie, die Zinngeschmückte, redet:
„Kenne wohl den Gang zum Kampfe,
Früher ging mein Vater oftmals

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_097.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)