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Hab’ gar lang’ im Meer geschwommen

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Und die Wogen fortgestoßen

In den weiten Wasserstrecken,
In der ausgedehnten Öde.“
     „Deshalb weine ich so lange,
Quäl’ ich mich so lang’ ich lebe,
Daß ich aus dem Heimathlande,
Aus bekannten Länderstrecken
Zu der fremden Thür gekommen,
Zu den unbekannten Pforten;
Alle Bäume hier verwunden,

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Jeder Ast scheint mich zu schlagen,

Jede Birke bringt Beschwerden,
Jede Erle sucht zu schneiden;
Nur der Wind ist mein Bekannter,
Nur die Sonne mir befreundet
In den fremden Länderstrecken,
Bei den unbekannten Thüren.“
     Louhi, sie, Pohjola’s Wirthin,
Redet darauf diese Worte:
„Weine nicht, o Wäinämöinen,

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Klage nicht, o Freund der Wogen,

Gut ist’s hier für dich zu weilen,
Schön die Zeit hier zuzubringen,
Lachs vom Teller hier zu essen,
Nebenbei das Fleisch der Säue.“
     Sprach der alte Wäinämöinen
Selber Worte solcher Weise:
„Nimmer mag ich fremde Speise
In der allerbesten Fremde;
Besser ist der Mann im Lande,

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Und zu Hause steht er höher;

Gieb, o güt’ger Gott dort oben,
Du, o Schöpfer voller Liebe,
Daß nach Hause ich gelange,
Nach dem lieben Heimathlande!
Besser ist’s im eignen Lande
Wasser aus dem Schuh zu trinken,
Als im fernen fremden Lande
Honigtrank aus goldner Schale.“
     Louhi, sie, des Nordlands Wirthin,

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Redet Worte solcher Weise:

„Was denn wirst du mir wohl geben,
Wenn ich dich nach Hause schaffe,
An den Saum des eignen Feldes,
Hin zur Badstub’ deiner Heimath?“
     Sprach der alte Wäinämöinen:
„Was wohl wünschst du zu erhalten,
Wenn du mich nach Hause schaffest,
An den Saum des eignen Feldes,
Daß den Kuckuck dort ich rufen,

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Dort die Vögel singen höre;

Willst du eine Mütz’ voll Goldes,
Einen Hut voll schönen Silbers?“
     Louhi, sie, Pohjola’s Wirthin,
Redet Worte solcher Weise:
„O du weiser Wäinämöinen,
Einzig ew’ger Zaubersprecher,
Nimmer werd’ nach Gold ich fragen,
Nimmer mich um Silber kümmern;
Gold ist wie der Kinder Blumen,

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Silber wie der Rosse Zierath;

Kannst du mir den Sampo schmieden,
Mir den bunten Deckel hämmern
Aus der Schwanenfeder Spitze,
Aus der Milch der güsten Stärke,
Einem einz’gen Gerstenkorne,
Aus der Wolle eines Schafes,
Ja, dann geb’ ich meine Tochter,
Dieses Mädchen dir zum Lohne,
Bringe dich zum Heimathlande,

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Daß du dort die Vögel singen,

Dort den Kuckuck rufen hörest
An dem Saum des eignen Feldes.“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
„Nicht kann ich den Sampo schmieden,
Nicht den bunten Deckel hämmern;
Bring mich nach dem Heimathlande:
Werde Ilmarinen senden,
Daß den Sampo er dir schmiede,

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Dir den bunten Deckel hämmre,

Deine Tochter sich gewinne,
Daß die Jungfrau er beglücke.“

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_034.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)