Seite:Kalewala, das National-Epos der Finnen - 033.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Sprach, als sie dort angekommen,
Und berichtet solcher Weise:
„Hörte von dem Meer her weinen,
Jammern auf dem andern Ufer.“
     Louhi, sie, Pohjola’s Wirthin,

170
Nordlands zähnearme Alte,

Eilte nach dem Hof geschwinde
An die Öffnung ihrer Pforte,
Horchte fleißig auf die Laute,
Redet selber diese Worte:
„Also weinen nimmer Kinder,
Also jammern nimmer Weiber,
Also weinen bärt’ge Helden,
Männer mit behaartem Kinne.“
     Stieß den Nachen in das Wasser,

180
In die Fluth den dreibretthohen,

Selbst beginnt sie schnell zu rudern,
Ruderte und eilt’ voll Raschheit
Hin zum alten Wäinämöinen,
Zu dem Helden, der da weinte.
     Wirklich weinte Wäinämöinen,
Jammerte der Wogen Gönner
In dem schlechten Weidenbusche,
In dem dichten Faulbaumhaine,
Mund und Bart, die bebten beide,

190
Doch der Mund ließ sich nicht öffnen.

     Sprach die Wirthin von Pohjola,
Sprach und redet’ solche Worte:
„O du alter Mann voll Thorheit,
Bist in fremdes Land gerathen!“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Hebt sein Haupt da in die Höhe,
Redet Worte solcher Weise:
„Weiß das selber zur Genüge,
Daß ich bin in fremdem Lande,

200
Auf ganz unbekannten Strecken;

In der Heimath war mir wohler
Und zu Hause stand ich höher.“
     Louhi, sie, Pohjola’s Wirthin,
Redet Worte solcher Weise:
„Möchte gern von dir erfahren,
Und erlaubt sei es zu fragen,
Wer denn bist du von den Männern,
Wer wohl aus der Zahl der Helden?“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft

210
Redet selber solche Worte:

„Ward genannt in frühern Zeiten,
Ward zuvor betrachtet immer
Als Erfreuer an dem Abend,
Als ein Sänger in den Thälern,
Auf den Fluren von Wäinölä,
Auf den Flächen Kalewala’s;
Glaube mich in meinem Elend
Selber fast nicht recht zu kennen.“
     Louhi, sie, Pohjola’s Wirthin,

220
Redet Worte solcher Weise:

„Steig, o Mann, nun aus der Nässe,
Komm’, betritt die neuen Pfade,
Daß dein Unglück du erzählest,
Dein Geschick du mir berichtest!“
     Nahm den Mann so fort vom Weinen,
So den Helden vom Gewimmer,
Ziehet ihn ins Boot behende,
Setzt ihn an des Fahrzeugs Ende,
Selber macht sie sich ans Rudern,

230
Ruderte mit allen Kräften

Graden Weges nach Pohjola,
Nach den fremden Wohngebäuden.
     Speisete den Hungermatten,
Trocknete den ganz Durchnäßten,
Wärmte ihn gar manche Stunde,
Wärmte ihn und schafft ihm Hitze,
Macht den Mann gar bald genesen
Und gesund den starken Helden;
Fragt ihn dann und forschet fleißig,

240
Redet selber diese Worte:

„Weshalb hast, o Wäinämöinen,
Du, o Wogenfreund, geweinet
In dem schlechten Aufenthalte
An dem Strande dieses Meeres?“
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet Worte solcher Weise:
„Habe Grund genug zum Weinen,
Grund genug mich abzuhärmen,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_033.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)