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Schwester dort zu sein den Schnäpeln,

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Eine Freundin flinken Fischen,

Als den alten Mann zu trösten,
Ihn, den Schwankenden, zu stützen,
Ihn, den Fallenden, zu halten,
Ihm, dem Taumelnden, zu helfen.“
     Ging drauf zu dem Haus am Berge,
Schreitet in die Vorrathskammer,
Öffnete die schönste Kiste,
Hebet ab den bunten Deckel,
Findet goldner Gürtel sechse,

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Sieben schöne Weiberröcke,

Kleidet damit ihren Körper,
Schmückt sich damit auf das Schönste,
Legt das Gold an ihre Schläfen,
Auf das Haar das helle Silber,
Blaue Bänder an die Augen,
Rothe Schnüre an die Stirne.
     Fängt dann an davonzuschreiten
Über Feld und über Wiese,
Schweift durch Sümpfe, schweift durch Felder,

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Schweift durch schattenreiche Wälder,

Selber sang sie bei dem Gehen,
Sprach sie, als umher sie schweifte:
„Jämmerlich ist mir zu Muthe,
Schmerzen habe ich am Haupte,
Doch nicht größer ist der Jammer,
Stärker nicht die heft’gen Schmerzen,
Wenn ich armes Mädchen sterbe,
Wenn mein Leben ich beende,
Bei der großen Last des Kummers,

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Bei der gar zu schlimmen Laune.“

     „Meine Zeit ist schon gekommen,
Fort von dieser Welt zu eilen,
Unten hin zum Reiche Mana’s
In des Todtenreiches Räume,
Laß, o Vater, du das Weinen,
Mutter, werde nur nicht böse,
Trockne, Schwesterchen, die Wangen,
Bruder, laß die Thränen bleiben,
Wenn ich in das Wasser sinke,

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In der Fische Fluth mich werfe,

In die Meerestiefe gehe,
Zu dem schwarzgefärbten Schlamme.“
     Schreitet einen Tag, den zweiten,
Endlich an dem dritten Tage
Kam sie an die Meeresküste,
An das schilfbewachsne Ufer,
Langte dorten an zur Nachtzeit,
Machte Halt daselbst im Dunkeln.
     Daselbst weinte sie den Abend,

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Wimmert’ sie die ganze Nacht durch

Auf des Strandes Wassersteinen,
An des breiten Busens Kante;
Bis sie an dem andern Morgen
Vor sich auf die Spitze blicket;
Drei der Jungfrau’n saßen dorten,
Schwammen munter in den Wogen,
Aino macht sich rasch zur vierten,
Fünftens kam hinzu die Ruthe.
     Warf das Hemd hin auf die Weide,

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Auf die Espen ihre Kleidung,

Auf die Erde ihre Strümpfe,
Auf die Steine ihre Schuhe,
Auf den Sand die schönen Perlen,
Aufs Gerölle ihre Ringe.
     Stand ein Stein dort voller Streifen,
Dort ein Felsblock goldenglänzend,
Stürzt sich auf den Stein, will schwimmen,
Hin zum Felsblock sich bewegen.
Als sie nun dahin gelanget,

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Und zum Sitzen sich bereitet

Auf dem buntgestreiften Steine,
Auf dem glanzerfüllten Felsblock,
Stürzt der Stein rasch in die Tiefe,
Fällt der Felsblock hin zum Grunde,
Mit dem Stein zugleich das Mädchen,
Aino auf des Felsblocks Fläche.
     Also stürzte hin das Hühnchen,
So verschwand das arme Mädchen,
Sprach noch selber beim Verscheiden,

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Selber, als hinab sie rollte:
Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_021.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)