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     Fängt dann hastig an zu schreiten,
Hebt behende seine Beine
Mit den überbreiten Hosen,
Die gar weit im Winde flattern,
Schwankt mit seinem ersten Schritte

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Hin auf lockern Sandesboden,

Taumelt mit dem zweiten Schritte
Hin auf Land von dunkler Farbe,
Mit dem dritten Schritte endlich
Tritt er an der Eiche Wurzeln.
     Haut den Baum mit seinem Beile,
Schlägt ihn mit der ebnen Schneide,
Einmal haut er, haut das zweite,
Schon zum dritten Male schlägt er,
Funken sprühen aus dem Beile,

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Feuer fliehet aus der Eiche,

Will die Eiche niederwerfen,
Will den mächt’gen Baumstamm beugen.
     Endlich bei dem dritten Male
Konnte er die Eiche fällen,
Brechen den gewalt’gen Baumstamm
Und die hundert Wipfeln senken;
Streckt der Eiche Stamm nach Osten,
Wirft die Wipfel hin nach Westen,
Schleuderte das Laub nach Süden,

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Und die Äste nach dem Norden.

     Wer dort einen Zweig genommen,
Der gewann sich ew’ge Wohlfahrt,
Wer den Wipfel an sich brachte,
Hatte ew’ge Zauberkunde,
Wer vom Laube ’was geschnitten,
Ward beständ’ger Wonne inne.
Was von Spänen ausgestreuet,
Was von Splittern fortgeflogen
Auf den klaren Meeresrücken,

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Auf den flachen Wellenspiegel,

Ward vom Winde dort gewieget,
Von den Wellen dort beweget
Wie ein Boot im Wasserspiegel,
Wie ein Schiff in Meeresfluthen.
     Nach dem Nordland trugen’s Winde,
Nordlands schlankgewachsne Jungfrau
Spülte ihren weiten Kopfputz,
Spült’ und klopfte ihre Kleider
Auf des Strandes Wassersteinen,

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Auf des Landes langer Spitze.

     Sah die Späne in den Fluthen,
Sammelt sie in ihren Ranzen,
Trägt im Ranzen sie nach Hause,
Nach dem Hof im langberiemten,
Daß der Zaubrer daraus Pfeile,
Waffen sich der Schütze schaffe.
     Als die Eiche nun gefället,
Als gebeugt der stolze Baumstamm,
Konnt’ die Sonne wieder scheinen,

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Konnt’ das liebe Mondlicht leuchten,

Weit die Wolken sich verbreiten,
Wölben sich des Himmels Bogen
Auf der nebelreichen Spitze,
Auf des Eilands wald’gen Ufern.
     Schön erhoben sich die Haine,
Ganz nach Wunsche wuchsen Wälder,
Baumesblätter, Erdenkräuter,
Vögel sangen in den Bäumen,
Lustig lärmten heitre Drosseln

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Und der Kuckuck ließ sich hören.

     Beeren wuchsen aus dem Boden,
Goldne Blumen auf den Fluren,
Kräuter mancher Art entstanden
Und Gewächse jeder Weise;
Nur die Gerste wollte noch nicht,
Nicht die schöne Saat gedeihen.
     Wäinämöinen alt und wahrhaft
Gehet hin und überleget
An dem Strand des blauen Meeres,

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An des mächt’gen Wassers Rande;

Fand daselbst der Körner sechse,
Sieben schöne Samenkörner
An dem Strand des großen Meeres,
In dem lockern, sand’gen Lande,
Barg sie in dem Marderfelle,
In des Sommereichhorns Beinhaut.
Ging den Boden zu besäen,
Ging den Samen auszustreuen

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_008.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)