harmlosen Thaten dürfte von dieser Stelle aus für diejenigen, an die sie ergeht, ebensowenig ehrend sein, als sie ganz gewiss auch dem Redner selbst den Vorwurf der Feigheit eintragen müsste. 35 Eine Aufforderung ist nach meiner Meinung vielmehr nur dort angezeigt, wo es sich um eine gewagte Sache handelt, da man die anderen auch ohne solche Anregung ins Werk setzen sollte. 36 Ich verhehle euch somit selbst nicht, dass nach meiner eigenen Anschauung der Sturm auf die Mauer seine Schwierigkeiten habe, aber ich möchte zugleich ausführlicher darauf hinweisen, wie herrlich gerade der Kampf mit den schwersten Hindernissen jenen anstehe, welchen um echten Mannesmuth zu thun ist, wie schön der Tod im Ruhmesglanz sei, und dass gewiss auch die ersten beim Wagnis die Frucht ihres Heldenmuthes nicht verlieren sollen. 37 Was euch nun zunächst zum Ansporn dienen soll, ist gerade das, was einige vielleicht eher abschrecken möchte, nämlich der zähe Muth der Juden und ihre Ausdauer bei ihrem Missgeschicke. 38 Es wäre doch eine wahre Schmach, wenn ihr, die Römer, ihr, meine Soldaten, die ihr schon im Frieden mit der Kriegskunst vertraut und im Kriege nur zu siegen gewohnt seid, euch mit den Fäusten oder der Verwegenheit der Juden nicht messen könntet, noch dazu im Angesichte des Triumphes und unter dem wirksamen Beistande Gottes! 39 Denn während die Verluste auf unserer Seite nur von der verzweifelten Gegenwehr der Juden herrühren, werden dagegen ihre Drangsale, abgesehen von euren Waffenthaten, auch noch durch das Eingreifen Gottes gesteigert, 40 indem der Bürgerkrieg und der Hunger in Verbindung mit der Belagerung und der durch keine Maschinen hervorgerufene plötzliche Einsturz der Mauer wohl nichts anderes sein kann, als ein Zeichen, dass Gott den Juden grollt, dass Gott auf unserer Seite steht. 41 Nun dürfte es aber doch kaum unserer Römerart entsprechen, dass wir nicht allein von Schwächeren uns schlagen lassen, sondern sogar den Arm Gottes durch unsere Feigheit bloßstellen sollten. Pfui der Schmach! 42 Die Juden, denen es doch keine große Schande bringt, wenn sie den Kürzeren ziehen, weil ihnen ja ohnehin die Knechtschaft nichts Neues ist, diese bäumen sich mit wahrer Todesverachtung gegen das alte Joch auf und machen von der Stadt aus einen Sturm nach dem anderen auf unsere Reihen, nicht etwa, weil ihnen eine Siegeshoffnung winkt, sondern einzig, um eine Probe ihrer Tapferkeit abzulegen. 43 Und wir, die wir die Herren fast aller Länder und Meere sind, für die selbst ein bloß unentschiedener Kampf eine Schande ist, 44 wir wollten auch nicht ein einziges Mal uns kühn unter die Feinde wagen, sondern mit unserer ungeheuren Streitmacht nur träge dahocken, um zu warten, bis der Hunger mit ihnen auf-
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/445&oldid=- (Version vom 1.8.2018)