werden. 449 Da nun der Hunger sie trotz ihrer Furcht aus der Stadt hinaustrieb, so mussten sie natürlich in die Gewalt der dort lauernden Feinde gerathen. Bei der Gefangennahme nun wehrten sie sich nothgedrungen aus Angst vor dem Tode, einmal aber überwältigt, meinten sie, es sei mit dem Bitten ohnehin vorbei. So wurden sie denn gegeißelt und mussten vor dem Tode noch allen Schimpf und alle Martern über sich ergehen lassen, bis sie endlich im Angesichte der Stadtmauer ans Kreuz geschlagen wurden! 450 Obschon dem Titus das Elend dieser Unglücklichen, von denen jeden Tag bei 500, manchmal auch noch mehr, in Gefangenschaft geriethen, zu Herzen gieng, so schien es ihm doch nicht geheuer, Leute, die mit Gewalt hatten überwältigt werden müssen, einfach wieder frei zu lassen; wollte man aber soviele bewachen lassen, so hätte im Grunde genommen die Wachmannschaft selbst eher einer Schar von Gefangenen gleich gesehen. Was Titus aber am meisten bestimmte, nicht einzugreifen, das war die Erwartung, es würden sich doch vielleicht die Juden durch diesen Anblick einschüchtern lassen, weil sie die gleiche Strafe für den Fall weiteren Widerstandes zu gewärtigen hatten. 451 In ihrem Grimm und Hass nagelten übrigens die Soldaten die Gefangenen zum Spotte jeden in einer anderen Stellung ans Kreuz, und ob ihrer Masse wurde der Raum für die Kreuze, die Kreuze aber für die Leiber der Opfer zu wenig.
452 (2.) Weit entfernt aber, dass die eigentlichen Aufrührer wenigstens beim Anblick dieser Marter anderen Sinnes geworden wären, schlugen diese daraus auch noch Capital für die Verhetzung der übrigen Menge. 453 Sie schleppten nämlich die Familien der Ueberläufer und die für die Uebergabe eingenommenen Bürger auf die Stadtmauer und zeigten ihnen von dort, was für Qualen die Römer für jene hätten, die zu ihnen ihre Zuflucht nähmen. Dabei erklärten sie noch bestimmt, dass die an den Kreuzen schwebenden Opfer als hilfeflehende Ueberläufer zu den Römern gekommen wären, während sie factisch nur mit Anwendung von Gewalt waren ergriffen worden. 454 Diese Erklärung hielt viele, die sonst gerne zu den Römern übergelaufen wären, in der Stadt zurück, bis man endlich auf die Wahrheit kam. Einige aber suchten trotzdem gleich auf der Stelle das Weite, einem sicheren Tode durch Henkershand entgegen, wie sie glaubten, weil sie den Tod unter Feindeshand im Vergleich zu den Hungerqualen für eine wahre Erlösung ansahen. 455 Titus ließ auch vielen Aufgegriffenen die Hände abhauen, damit man sie nicht in der Stadt für Ueberläufer halten und der Aussage der Krüppel eher Glauben schenken möchte. In diesem Zustande schickte er sie dann zu Johannes und Simon hinein, um
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/423&oldid=- (Version vom 1.8.2018)