442 (5.) Was nun die Einzelnheiten ihres ruchlosen Treibens anlangt, so ist es einfach unmöglich, dieselben genau zu verfolgen. Man kann nur kurz das eine sagen: Nie hat je eine andere Stadt solche entsetzliche Leiden erduldet, und nie war ein Geschlecht von Anbeginn der Welt fruchtbarer an Freveln. 443 Haben sie ja doch zuletzt selbst die hebräische Nation verhöhnt, um den Glauben zu erwecken, dass ihre Ruchlosigkeiten eigentlich gegen fremde Bürger gerichtet gewesen, in welchem Falle sie natürlich auch weniger abscheulich erschienen wären. Damit haben sie aber nur die schon anderweitig bekannte Thatsache zugegeben, dass sie selbst eigentlich nur Sclavengesindel, der Abschaum, die Bastarde und Auswürflinge der Nation waren. 444 Während im Grunde nur sie es waren, welche die Stadt ins Verderben stürzten, haben sie die Römer trotz ihres Widerstrebens dazu gezwungen, durch einen unseligen Sieg mit ihrem Namen dieses Zerstörungswerk zu decken, und sie haben die Brandfackel in des Feindes Hand, als sie noch zauderte, fast mit Gewalt an das Heiligthum herangezerrt. 445 So ist es auch sichere Thatsache, dass diese Menschen, als sie von der Oberstadt aus schon in die Flammen des Tempels hineinsahen, dafür weder einen Schmerz noch eine Thräne gehabt haben, während die Römer davon tief ergriffen waren. Doch wir werden darüber später, wenn von diesen Ereignissen die Rede sein wird, an gehöriger Stelle noch reden.
446 (1.) Die von Titus angeordneten Belagerungsdämme schritten rüstig vorwärts, obwohl die Soldaten durch die Feinde von der Mauer herab großen Schaden litten. Er hatte auch einer Abtheilung Reiter den Befehl gegeben, jene Juden, die sich in die umliegenden Thalschluchten herauswagten, um essbare Kräuter zu sammeln, dabei zu überraschen. 447 Zu den letzteren gehörten auch einige bewaffnete Rebellen, die mit den geraubten Nahrungsmitteln nicht mehr das Auslangen finden konnten, aber zum größten Theil waren es arme Leute aus dem Volke, welche die Furcht für das Schicksal der Ihrigen von einem Uebergang zu den Römern zurückhielt. 448 Denn dass sie in Begleitung von Weib und Kindern die Flucht zu den Römern bewerkstelligen könnten, ohne von den Aufrührern bemerkt zu werden, durften sie keinesfalls hoffen; andererseits konnten sie es auch nicht übers Herz bringen, dieselben den Banditen zurückzulassen, von denen sie ja, wie sie wussten, ganz sicher aus Rache für sie selbst würden hingeschlachtet
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/422&oldid=- (Version vom 1.8.2018)