Geschlecht und ein von altersher erlauchtes Haus in derselben Gefahr, und vielleicht denket ihr sogar, dass ich nur für sie jetzt rede. Wohlan, metzelt sie nur nieder, dies mein Blut soll euch gehören als Preis für euer eigenes Heil! Auch ich selbst will gerne sterben, wenn mein Tod euch nur die Vernunft zurückgeben könnte!“
420 (1.) Diese von Thränen begleitete laute Apostrophe des Josephus konnte die Rebellen weder zur Nachgiebigkeit bewegen noch auch zur Ueberzeugung bringen, dass sie bei einer Sinnesänderung von Seite der Römer nichts zu fürchten hätten, wohl aber vermehrte sie in starker Weise die Ueberläufer aus den Reihen der Bürger. 421 Um jeden Preis schlugen die einen ihre Besitzungen, die anderen ihre wertvolleren Kleinodien los, verschluckten die dafür erhaltenen Goldmünzen, damit sie nicht von den Banditen bei ihnen gefunden werden könnten, und liefen dann zu den Römern über. Sobald nun das Gold wieder abgieng, hatten sie wenigstens gleich die nöthigsten Mittel zum Leben. 422 Titus gab nämlich den meisten die Freiheit, wo nur ein jeder wollte, sich im Lande niederzulassen, und gerade das ermuthigte die Juden ganz besonders zur Flucht ins römische Lager, da ihnen die Hoffnung winkte, sowohl der Drangsale in der Stadt ledig zu werden, als auch der römischen Sclaverei zu entgehen. 423 Doch wachten die Leute des Johannes und des Simon fast noch ängstlicher darüber, dass kein solcher Bürger hinauskäme, als dass kein Römer hereinkäme, und wer nur den leisesten Verdacht erregte, ward auf der Stelle kalt gemacht.
424 (2.) Für die Vermöglichen war übrigens auch das Bleiben in der Stadt gleichbedeutend mit dem sicheren Untergang, da ein solcher schon um seines Vermögens willen unter dem Vorwand, er sei ein Ueberläufer, aus dem Wege geräumt wurde. Mit dem Hunger verschärfte sich auch die tolle Grausamkeit der Aufrührer, und die doppelte Qual ward von Tag zu Tag immer verzehrender. 425 Da die öffentlichen Getreidevorräthe allerorts vollständig geschwunden waren, überfielen die Banditen sogar die Privathäuser und suchten sie sorgfältig ab. Fanden sie dann etwas, so misshandelten sie die Hausbewohner, weil sie das Vorhandensein von Speisen weggeleugnet hatten, fanden sie nichts, so marterten sie dieselben erst recht in der Voraussetzung, dass sie die Vorräthe nur zu gut versteckt hätten. 426 Hiebei gab ihnen das leibliche Befinden der Unglücklichen einen Fingerzeig, ob sie wirklich
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/419&oldid=- (Version vom 1.8.2018)