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so dass sie wiederholt ihre Versuche, sich den Eingang zu erzwingen, vereitelten. In dieser Weise behaupteten sie sich unter tapferem Widerstande noch drei Tage, bis sie endlich am vierten Tage dem von Titus glänzend geleiteten Sturm erlagen und an der nämlichen Stelle, wie früher, abermals in die Flucht geschlagen wurden. 347 Zum zweitenmal im Besitze der Mauer, ließ Titus jetzt auf der Stelle die Nordseite derselben in ihrer ganzen Ausdehnung niederreißen, während er die Thürme des nach Süden hin verlaufenden Theiles mit Wachen besetzte. Nunmehr konnte er an den Sturm auf die dritte Mauer denken.


Neuntes Capitel.
Große Heeresparade und ihr Eindruck auf die Juden; Aufwerfen der Dämme vor der Oberstadt und der Antonia. Rede des Josephus an seine Landsleute.

348 (1.) Titus beschloss zunächst, in der Belagerung eine kleine Pause eintreten zu lassen und so den Rebellen Zeit zur Ueberlegung zu geben, falls vielleicht doch der Abbruch der zweiten Mauer oder auch die Sorge vor der Hungersnoth, welche die zusammengeraubten Vorräthe wohl nicht lange mehr bannen konnten, sie nachgiebiger machen möchten. Er benützte jedoch diese Unterbrechung in der vortheilhaftesten Weise. 349 Da nämlich der regelmäßige Zahltag vor der Thüre stand, an welchem der Sold an die Soldaten zu vertheilen war, so befahl Titus den höheren Officieren, ihre Mannschaft auf einen auch für die Feinde sichtbaren Platz aufmarschieren zulassen und dort jedem einzeln sein Geld auf die Hand zu zählen. 350 Wie herkömmlich, erschienen dabei die Truppen in voller Rüstung, das sonst in der Scheide ruhende Schwert blank in der Faust tragend, die Reiter aber mit ihren kriegerisch aufgezäumten Pferden, die sie am Zügel führten. 351 Weithin erstrahlte die Umgebung der Stadt im Schimmer der goldenen und silbernen Rüstungen, und nie gab es wohl ein für das Herz des Römers erfreulicheres, nie aber auch ein für die Feinde schrecklicheres Schauspiel. 352 Die ganze alte Mauer und die Nordseite des Tempels war mit Zuschauern dicht besetzt, über die Häuser hinweg sah man alles voll von Leuten, die neugierig ihre Hälse streckten, und in der weiten Stadt war kein einziges menschenfreies Plätzchen mehr zu erblicken. 353 Eine furchtbare Bestürzung ergriff selbst die Unerschrockensten beim Anblick der gesammten, auf einen Punkt concentrierten Heeresmacht mit ihrem blitzenden Waffenschmuck und der strammen Haltung ihrer Reihen. 354 Ich glaube, dass selbst die eigentlichen Aufrührer bei diesem Anblick anderen Sinnes geworden wären, wenn nicht das Uebermaß von Freveln, die sie an dem Volke begangen, auch die leiseste Hoffnung auf Verzeihung von Seite der

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Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/410&oldid=- (Version vom 1.8.2018)