wer er sei, und in seiner Eigenschaft als Kriegsherr und künftiger römischer Kaiser doch nicht für einen gemeinen Soldaten in die Lücke springen, wo ihn im nächsten Augenblicke das Verhängnis ereilen könne, ihn, auf dem der Erdkreis ruhe. 89 Doch Titus schien diese Bitten nicht einmal zu hören. Kräftig behauptete er sich gegen die heraufstürmenden Feinde und streckte, Mann gegen Mann ringend, jeden nieder, der über ihn hinauf wollte, dann rannte er wieder in den dichtesten Haufen am steilen Abhang und stieß die feindlichen Massen zurück. 90 Ein solcher Heldenmuth, verbunden mit einer so wuchtigen Körperkraft, machte die Juden ganz stutzig, doch wandten sie sich darum noch nicht der Stadt zu, sondern wichen jetzt nur dem Titus nach beiden Seiten aus, um den Flüchtlingen weiter droben nachzusetzen. Aber auch da packte sie Titus an der Seite und hemmte sie in ihrer hitzigen Verfolgung. 91 Unterdessen hatten auch die Lagerbauer oben die Flucht unter ihnen bemerkt 92 und werden aufs neue von Schrecken und Angst befallen: bald zerstiebt die ganze Legion in alle Winde, da man jetzt glauben musste, es gebe wirklich für den Ausfall der Juden keinen Widerstand mehr, und auch Titus selbst sei geworfen, weil sonst die anderen gewiss nie geflohen wären, wenn er noch am Platze wäre. 93 Und wie von einem panischen Schreckbild verfolgt, eilt der eine dahin, der andere dorthin, bis endlich einige ihren Feldherrn mitten im Kampfgetümmel erblicken und, das schlimmste für ihn befürchtend, mit laut hinschallender Stimme der fliehenden Legion zurufen: 94 „Der Feldherr in Gefahr!“ Nun trieb das Schamgefühl die Soldaten wieder zurück, wobei es nicht an gegenseitigen Vorwürfen fehlte, dass sie so feige geflohen, und was noch ärger, selbst den Cäsar im Stiche gelassen hätten. Dann stürzten sie sich mit aller Wucht auf die Juden und drängten die einmal ins Wanken gebrachte Masse von der Berglehne gegen die Thalmulde zu. 95 Nur Schritt für Schritt wichen die Juden unter fortwährendem Kampfe zurück, und nur ihrer günstigen Position verdankten es die Römer, dass sie endlich den Feind vollends in die Schlucht hinabtreiben konnten. 96 Bei der Verfolgung der Juden half Titus für seinen Theil redlich mit. Als das geschehen, sandte er die Legion aufs neue zum Bau der Lagerwälle zurück, während er selbst mit den früher schon zum Schutze aufgestellten Truppen die Feinde zurückwies. 97 Auf solche Weise hat also der Cäsar in höchst eigener Person, wenn man überhaupt einerseits ohne schmeichlerische Uebertreibung, andererseits ohne neidisches Mäkeln nur der Wahrheit die Ehre geben will, zweimal die ganze Legion aus der höchsten Gefahr gerettet und die ungestörte Vollendung der Lagerumwallung ihr ermöglicht.
Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/381&oldid=- (Version vom 1.8.2018)