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stemmten die vordersten Römer ihre Schilde gegen die Mauer, ihre Hintermänner wieder neue Schilde unter die ihrer Vordermänner, ebenso auch die folgenden Soldaten und formierten damit das bei den Römern unter dem Namen Schildkröte bekannte Schutzdach. Alle Geschosse, die darauf geschleudert wurden, glitten spurlos darüber hin, so dass die Soldaten jetzt, ohne im geringsten verletzt zu werden, an der Untergrabung der Mauer arbeiten und daran denken konnten, an das Thor zum Heiligthum Feuer zu legen.

538 (6.) Ein panischer Schrecken bemächtigte sich nunmehr der Rebellen. Viele gaben bereits Fersengeld und verließen die Stadt, weil sie schon in den nächsten Augenblicken den Fall derselben erwarteten. Dagegen schöpfte das Volk aus demselben Anlasse wieder neuen Muth, und in dem Maße, als sich das Gesindel verzog, suchten die Bürger an die Mauer heranzukommen, um die Thore zu öffnen und Cestius als Befreier zu begrüßen. 539 Würde dieser nur eine kleine Weile noch die Belagerung betrieben haben, so hätte er alsbald die Stadt in seine Hand bekommen müssen! Aber nach meiner Ueberzeugung hat Gott selbst, der sich wegen der Ruchlosen auch von seinem eigenen Heiligthum bereits zurückgezogen hatte, es nicht zugelassen, dass der Krieg mit diesem Tage schon beendet würde.

540 (7.) Cestius rief nämlich ganz plötzlich, ohne von der Verzweiflung der Belagerten noch von der wachsenden Zuversicht des Volkes Notiz zu nehmen, seine Soldaten ab und brach, tiefentmuthigt, trotzdem seine Hoffnungspläne gar keinen äußeren Stoß erlitten hatten, ohne jeden vernünftigen Grund von Jerusalem auf. 541 Bei seinem ganz unerwarteten Abmarsch gewann das Raubgesindel seine alte Keckheit wieder, stürzte hinter den letzten Römern zur Stadt hinaus und hieb viele Reiter und Fußgänger nieder. 542 Die erste Nacht campierte Cestius in dem früheren Lager am Skopushügel, den er am folgenden Tage wieder verließ, um seinen Rückmarsch fortzusetzen, was die Feinde erst recht anlockte. Sie drängten theils von rückwärts nach und lichteten die letzten Reihen, sie stürmten aber auch zu beiden Seiten des Weges gegen die Römer heran und bestrichen mit ihren Wurfgeschossen deren Flanken. 543 Die Soldaten im Nachtrab wagten es gar nicht, gegen die Feinde, die ihnen im Rücken zusetzten, Front zu machen, weil sie sich von einer ungezählten Menge verfolgt glaubten, während die durch den Flankenangriff bedrohten Römer überhaupt nicht in der Lage waren, denselben zurückzuweisen, weil sie schwer bepackt waren und Reih’ und Glied zu stören fürchten mussten, wogegen die Juden ohne Gepäck und ganz ungehindert, wie die Bedrängten zu ihrem Leidwesen sahen, die Angriffsbewegungen ausführen konnten. So musste es kommen, dass

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Flavius Josephus: Jüdischer Krieg. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/219&oldid=- (Version vom 18.2.2020)