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Flavius Josephus: Juedischer Krieg (Bellum Judaicum) übersetzt von Philipp Kohout

und starre Auffassung derselben von Gott und ihre ablehnende Haltung gegen seinen Gesalbten getheilt hat. Er hat mit ihnen den Faden und das Ziel der Offenbarung verloren, kein Wunder, wenn ihm die Geschichte Israels zum finsteren Irrgang geworden ist, aus dem sein sonst so heller Geist den Ausgang nimmer finden kann. Ob Jos. an eine Auferstehung Israels geglaubt hat? Fast möchte es hie und da scheinen, aber vor seinen Lesern hat er den einzigen Hoffnungsstern, der ihn aus seiner trüben Gegenwart in eine lichtere Zukunft hätte hinüberleiten können, den messianischen Gedanken, nicht bloß ganz verhüllt, sondern, wozu ihn sein Publicum sicher nicht genöthigt hätte, ihn officiell einem Irrlicht vergänglicher Herrlichkeit geopfert. Das ist die große geschichtliche Unwahrheit des Josephus, das begründet zum Theil auch die innere Zerrissenheit und Unwahrheit seines Charakters. Es ist, als ob auch aus seinem Werke immer und immer der unheilvolle Ruf uns entgegenklänge, der das furchtbare materielle und geistige Elend seines Volkes verschuldet hat: Non habemus regem, nisi Caesarem![WS 1] Nur war Josephus hierin consequenter und glücklicher, als sein armes Volk!

Das neunzehnte Jahrhundert seit Christus versinkt soeben im Strome der Zeiten! Was für historische Gebilde, was für gewaltige Gestalten, was für Riesenwerke und Riesenvölker hat diese ungeheure Wasserwüste geboren und verschlungen! Nur zwei Monumente stehen noch unberührt von der nagenden Welle: Die trauernde Ruine Sions, die ihren gespenstischen Schatten mahnend und drohend über die christlichen Völker wirft; denn von ihren Trümmern sagt der strafende Gottesspruch: „Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis alles geschieht!“[WS 2] Auch das zweite hat eine göttliche Verheißung, aber eine solche der Liebe und der Gnade: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und alle Mächte der Hölle werden ihn nie überwältigen.“[WS 3] Treu geblieben ist der Herr seiner Barmherzigkeit, treu geblieben seiner Gerechtigkeit, Himmel und Erde werden vergehen, aber sein Wort nicht, so ruft ein Jahrhundert dem andern zu, und das ist auch die große Wahrheit, welcher unser Geschichtschreiber unbewusst seinen scharfen Griffel geliehen hat. Durch sie allein wird seine schauerliche Grabschrift auf Israel unsterblich bleiben, ein hochernster Wegweiser auf der Heerstraße der Völker.

Linz, den 10. December 1900.
Der Uebersetzer.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Joh 19,15 in der Übersetzung der Vulgata. Der ganze Vers: „Sie schrien aber: Weg, weg mit dem! Kreuzige ihn! Spricht Pilatus zu ihnen: Soll ich euren König kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König als den Kaiser.“ (Lutherübersetzung)
  2. Mt 24,34.
  3. Mt 16,18.
Empfohlene Zitierweise:
: Juedischer Krieg (Bellum Judaicum) übersetzt von Philipp Kohout. Linz: Quirin Haslingers Verlag, 1901, Seite X. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JosephusBellumGermanKohout.djvu/010&oldid=- (Version vom 1.8.2018)