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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien

oder sie schleichen gespenstisch, als ob sie sich scheuten, ordentlich aufzutreten. So schleicht auch unser verlorener Sohn mehr als er schreitet, ganz ähnlich wie der hl. Jakobus auf der Außenseite des Jüngsten Gerichts der Wiener Akademie, das ich heute als eine Kopie nach einem Werke Hieronymus Boschs ansehen möchte, oder wie der Lastträger auf der Invidia der Sieben Todsünden, der selbst unter dem schweren Gewichte, das seinen Rücken krümmt, von diesem Zehengang nicht abläßt. Aber auch andere Einzelheiten der Zeichnung weisen bei unserem Bilde mit voller Sicherheit auf Hieronymus Bosch hin: den mageren, bartlosen Kopf mit den kleinen, runden, lebhaften Augen, dem silbergrauen, spärlichen Haupthaar und den stark betonten Halssehnen finden wir wieder bei dem hl. Hieronymus des Wiener Triptychons (Nr. 651) und mehrmals auf der Anbetung der Könige im Prado, die schwächliche Hand mit dem schmalen Gelenk und der breiten Handwurzel begegnet uns auf allen seinen Bildern, das seltsame Kopftuch sehen wir genau so verwendet auf der von Peter van der Heyden (P. a Myricenis) gestochenen Allegorie des Haifisches. Selbst die kleinen Scherze, die unser Meister als eine Art märchenhaften Aufputzes seinen Bildern beizugeben suchte, finden sich auf unserem Bilde wieder: der Schusterkneip, der, als Agraffe gedacht, den Hut durchbohrt, entspricht ähnlichem Schmuck (Pfeil und Messer), womit der Hut eines alten Schergen auf der Dornenkrönung und der eines Hirten auf der Anbetung der Könige verziert sind; das Haar, das durch ein Loch des Kopftuches hervordringt, hat seine Analogie in dem Schopfe, der aus der zerrissenen runden Mütze des Schergen links auf der Dornenkrönung emporsteht. Die kleinen Figuren des Hintergrundes, der Holz- und Lehmbau, die vielen in der Land­schaft zerstreuten, mit seltsamer Naivetät aufgefaßten Tiere, darunter ein Specht, der auf dem untern Rande eines Astes hinaufkriecht (wie in dem Flügelbilde mit dem hl. Ägidius auf dem Triptychon der Wiener Galerie Nr. 651), der belaubte Baum mit einzelnen verdorrten Zweigen, der tüpfelnde Baumschlag — alles dies findet sich ganz ähnlich wieder auf verschiedenen authentischen Schöpfungen des Meisters, wie besonders auf der Anbetung der hl. drei Könige im Prado und der Tischplatte mit den Sieben Todsünden im Eskorial.

Solche Übereinstimmungen scheinen mir mit Sicherheit zu beweisen, daß Hiero­nymus Bosch der Maler unseres Bildes ist. Da ich aber zum Vergleiche eine Anzahl von Gemälden herangezogen habe, die von einem ernsten Forscher wie Hermann Dollmayr[1] im Gegensatze zu Carl Justis auf gründlichster Kenntnis der Originale beruhendem Urteile[2] dem Meister abgesprochen worden sind, so möchte ich nicht versäumen, in Kürze zu begründen, warum ich glaubte, bei Justis Anschauungen verbleiben zu müssen. Dollmayr hat eine Gruppe von Gemälden, darunter solche, die Justi als Hauptwerke des Meisters anerkannt hatte, aus der Liste seiner Werke zu streichen und einem Monogrammisten zuzuschreiben versucht. Den Ausgangspunkt

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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien. , 1904, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrbuch_der_k%C3%B6niglich_preuszischen_Kunstsammlungen_vol_025_Zu_einem_Bilde_von_Hieronymus_Bosch_in_der_Figdorschen_Sammlung_in_Wien.djvu/7&oldid=- (Version vom 13.3.2023)
  1. Hieronymus Bosch und die Darstellung der vier letzten Dinge in der niederländischen Malerei des XV. und XVI. Jahrhunderts, Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. XIX, 1898, eine Studie, deren bleibender Wert hauptsächlich in der weitgreifenden, kulturhistorischen Untersuchung über den Ursprung der Vorstellungen besteht, die den niederländischen Höllenstücken zugrunde liegen.
  2. Die Werke des Hieronymus Bosch in Spanien, Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen Bd. X, 1889.