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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien

er wieder auf eine geringe Zahl und das Beiwerk auf das Allernötigste und so erreicht er mit wenigen Mitteln den Ausdruck tiefster, edelster und zugleich bitterster Reue, wie keiner vor und keiner nach ihm.

Wenn auch diese Reihe von Darstellungen des verlorenen Sohnes wirklich lückenlos wäre, was ja nicht im entferntesten unsere Absicht sein konnte, so ließe sich darin doch schwer die Bearbeitung einfügen, die meiner Meinung nach derselbe Stoff in einem sehr merkwürdigen altniederländischen Rundbilde der Sammlung des Herrn Dr. Albert Figdor in Wien[1] gefunden hat. Hier sehen wir den Gegenstand so neu, so lebendig, so eigenartig und dabei so einfach aufgefaßt, daß er uns auch in dieser Gestalt neben Dürers und Rembrandts großartigen Schöpfungen zu fesseln ver­mag. Der Künstler hat einen ganz andern Moment der Erzählung gewählt, und zwar auch einen, der tief in den Sinn des biblischen Gleichnisses eindringt: den Augenblick der Erleuchtung, die den armen Sünder überkommt. In einer verfallenen Bauernherberge, die den auf altniederländischen Bildern nicht seltenen Schild zum Schwan (in’t swaenken) führt, hatte er eine kümmerliche Unterkunft gefunden. Es ist ein ärmlicher Bau aus Holz und Lehm in stark verwahrlostem Zustande. Das Strohdach ist zerrissen, aus einem Mansardenfenster hängt ein Hemd zum Trocknen heraus, ein Fensterladen ist aus der Angel geraten. Im Türweg sieht man eine Bauernfrau, die von einem Burschen mit Liebesanträgen bedroht wird, wohl eine Andeutung des früheren Lasterlebens des verlorenen Sohnes; aus dem Fenster guckt eine alte Bäuerin; an der Ecke des Hauses verrichtet ein Bauer seine Notdurft. Vor der Herberge sieht man die aus einer Kufe fressenden Schweine, die der verlorene Sohn bisher gehütet hat. Er aber »begehrte seinen Bauch zu füllen mit Träbern, die die Säue aßen; und niemand gab sie ihm. Da schlug er in sich und sprach: Wie viele Tagelöhner hat mein Vater, die Brot die Fülle haben, und ich verderbe im Hunger. Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt in den Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht wert, daß ich dein Sohn heiße; mache mich als einen deiner Tagelöhner.« Von diesem Gedanken beseelt hat er sich nun aufgemacht und schreitet, in die Lumpen eines Bettlers gekleidet und mit allerlei wertlosen Dingen bepackt, den Hirtenstab in der Rechten und den Hut in der Linken, der Türe des Zaunes zu, die sich bald hinter ihm schließen wird. Er blickt noch einmal zurück nach der elenden Herberge, wo er gehaust hat; doch niemand gibt ihm das Abschiedsgeleite, nur ein kleines Hündchen ist ihm nachgelaufen und kläfft ihn verächtlich an.

Wer ist nun der Maler, der etwa zur selben Zeit, da Dürer dem Gegenstande in seinem Kupferstiche eine endgültige Fassung gab, noch so vollkommen unbefangen an die Darstellung des biblischen Gleichnisses herantrat und daraus ein Sittenbild, ein Volksstück schuf, wie es ihm vor Augen stand, wenn er die Bibel für sich las und ihre Gestalten in das Gewand seiner Zeitgenossen kleidete? Ich glaube, die Antwort auf diese Frage wird Kennern der altniederländischen Malerei kaum zweifelhaft sein: der Meister unseres Bildes ist kein anderer als Hieronymus Bosch. Zu keinem andern passen so gut der zarte, mit trockenem, spitzem Pinsel bewirkte Auftrag der lichten, fein zusammengestimmten Farben und die schöne, weite, in helles Tageslicht getauchte Hügellandschaft, deren Augenpunkt sehr hoch liegt. Auch dem Rundbilde

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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien. , 1904, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrbuch_der_k%C3%B6niglich_preuszischen_Kunstsammlungen_vol_025_Zu_einem_Bilde_von_Hieronymus_Bosch_in_der_Figdorschen_Sammlung_in_Wien.djvu/5&oldid=- (Version vom 11.3.2023)
  1. Auf Eichenholz, von achteckigem Format, die Darstellung selbst rund, Durchmesser 63 cm. Erworben vor einigen Jahren im Pariser Kunsthandel.