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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien

Vorstellung ein Sittenbild zu gestalten, in der malerisch vollendeten Darstellung berührt sich hier Brueghel viel mehr mit Hieronymus Bosch, dessen Nachfolger er ist, ohne ein Nachahmer zu sein.

Aber auch der verlorene Sohn der Figdorschen Sammlung deutet in mancher Beziehung auf Brueghel hin. Am auffallendsten ist die Ähnlichkeit in der Komposition: gerade in der Kunst, eine einzelne Hauptfigur in die Landschaft zu setzen und sie mit ihr zu einem einheitlichen Ganzen zu vereinigen, wetteifert Brueghel oft sehr glücklich mit Bosch. Hervorragende Beispiele dieser Art sind der »Vogeldieb« der Wiener Galerie und die Allegorie von der Unredlichkeit der Welt im Museum zu Neapel. Die Verwandtschaft des letztgenannten Gemäldes mit unserm Bilde, mit dem es überdies die runde Form gemein hat, ist besonders augenfällig. Wie die großartige Figur des still und resigniert dahinwandelnden Eremiten, dem noch im letzten Augenblick vor seiner Einkehr in die Wildnis die böse Welt den Beutel mit seinen letzten Ersparnissen abzwickt, von der weiten ebenen Landschaft sich abhebt, diese feine malerische Wirkung ist in der auf echt holländischen Boden versetzten, traurigen Ge­stalt des verlorenen Sohnes, dem seinerseits ein kläffendes Hündchen das Geleite gibt, mindestens vorgeahnt. Diese Vorahnung ist kein Zufall; denn beide großen Künstler stammen aus demselben Ländchen Nordbrabant, das heute zu Holland gehört, und wenn auch bei ihnen an ein Verhältnis von Lehrer und Schüler aus chronologischen Gründen nicht zu denken ist, so ist es doch ohne weiteres klar, daß der Jüngere die Werke des Älteren auf das Genaueste gekannt und aufs Emsigste studiert hat. Daß sich aber Hieronymus Bosch mehr als ein halbes Jahrhundert vor Brueghel schon an solche malerische Probleme gewagt, ja sie sogar in seiner ihm allein eigentümlichen Weise gelöst hat, beweist, wie wahr es ist, was Carl Justi von ihm gesagt hat: »daß Bosch der Träumer ein Maler ist, und zwar sehr ein Maler«.

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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien. , 1904, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrbuch_der_k%C3%B6niglich_preuszischen_Kunstsammlungen_vol_025_Zu_einem_Bilde_von_Hieronymus_Bosch_in_der_Figdorschen_Sammlung_in_Wien.djvu/13&oldid=- (Version vom 14.3.2023)