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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien

die Kreuztragung im Genter Museum[1] und Christus vor Pilatus im Museum zu Princeton in den Vereinigten Staaten[2], zwei Gemälde, die in der Charakteristik der Köpfe weit über die Grenzen hinausgehen, an die sich sonst der Meister ge­halten hat, und schon an den Einfluß von Lionardos Karikaturen denken lassen, trotzdem aber wohl als Originale angesehen werden müssen. Diesen Werken schließt sich nun das Rundbild der Figdorschen Sammlung würdig an, ja es ist vielleicht kunstgeschichtlich noch von höherem Interesse. Denn es zeigt uns am deutlichsten den Weg, den Bosch gegangen ist, um von biblischen Vorstellungen aus zum reinen Sittenbilde zu gelangen, und auf dem er zum Vorläufer Peter Brueghels des Älteren geworden ist.

Als biblisches Gleichnis steht der verlorene Sohn nicht vereinzelt unter Boschs Werken da; die alten Inventare der Sammlung König Philipps II. kannten ein zweites Gleichnis von seiner Hand, das von den Blinden[3], das uns heute nur mehr in dem Kupferstiche Peter van der Heydens erhalten ist. Auch hier ist die Auffassung völlig die gleiche wie auf unserem Bilde: aus der Bibelstelle gestaltet der Meister, ohne von ihrem tiefsten Sinn abzuweichen, ein wahres Volksstück, das allen seinen Zeitgenossen verständlich sein mußte. Von solchen Gleichnissen, also noch von biblischen Vor­stellungen, aus kam Bosch auf jene reinen Sittenbilder, die heute wohl alle verschollen sind: die Blinden auf der Saujagd, die Disputation des Mönchs mit den Ketzern, der Tanz nach der Weise von Flandern, die Hochzeit, Fasten und Fasching, das Straf­gericht, die Hexe, der Hexenmeister, der Mann auf dem Eise[4], der Hirt vor seinen Schafen in einer Landschaft[5] u. s. f. Erhalten ist uns nur mehr die sittenbildliche Illustration eines Sprichworts, jene von Carl Justi entdeckte Steinoperation im Prado (Nr. 1860), eine Darstellung, deren Beliebtheit über Boschs Tod hinaus zahlreiche spätere veränderte Wiederholungen (z. B. im Reichsmuseum zu Amsterdam, bei Dr. Figdor in Wien und, nach H. Hymans, im Museum zu Saint-Omer) beweisen.

Gerade von Boschs Gleichnissen führt nun der Weg zu den Schöpfungen seines großen Landsmanns Peter Brueghel des Älteren. In dem herrlichen Gemälde des Neapeler Museums hat auch dieser das Gleichnis von den Blinden behandelt. Schon Cornelis Metsys war, in einer seiner kleinen Radierungen, auf den Gedanken gekommen, aus den zwei Blinden, die Bosch getreu der Bibel folgend dargestellt hatte, einen Gänsemarsch von vier Blinden zu machen. Bei Brueghel sind es deren sechs. Allein obwohl Cornelis Metsys einer Gruppe von Künstlern angehört, die auf Brueghel nicht ohne Einwirkung geblieben sind, jener Gruppe, zu der auch der sogenannte Braunschweiger Monogrammist zählt, den ich für eine Person mit dem von Van Mander erwähnten Jan de Hollander halten möchte, so kommt doch auch in diesem Falle der Einfluß des geringen Cornelis Metsys auf den großen Brueghel nur als ein ganz nebensächliches Moment in Betracht; denn dieser Einfluß beruht auf nichts weiter als auf dem Einfalle, aus den zwei Blinden der Bibel eine ganze Kette von solchen zu machen. In der künstlerischen Auffassung, in der Neigung, aus der biblischen

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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien. , 1904, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrbuch_der_k%C3%B6niglich_preuszischen_Kunstsammlungen_vol_025_Zu_einem_Bilde_von_Hieronymus_Bosch_in_der_Figdorschen_Sammlung_in_Wien.djvu/12&oldid=- (Version vom 14.3.2023)
  1. Publiziert in Max J. Friedländers Meisterwerken der niederländischen Malerei auf der Ausstellung zu Brügge 1902, Taf. 84.
  2. Veröffentlicht von Allan Marquand im Princeton University Bulletin XIV, Nr. 2 (1903).
  3. C. Justi a. a. O. S. 129, 141, 144.
  4. C. Justi a. a. O. S. 129, 141 ff.
  5. »Eenen herder, voor zyn schaepen, lantschap, van Bosch« wird erwähnt in dem Nachlaß eines Antwerpener Kunsthändlers (1642), vgl. Van den Branden, Antwerpsch Archieven­blad XXI, p. 339.