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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien

ZU EINEM BILDE VON HIERONYMUS BOSCH IN DER FIGDORSCHEN SAMMLUNG IN WIEN
VON GUSTAV GLÜCK

Das ewig schöne Gleichnis vom verlorenen Sohne hat, seitdem es zum ersten Male in den Stoffkreis der bildenden Kunst des Nordens aufgenommen wurde, immer wieder die größten Künstler zur Darstellung angeregt, ja das Interesse an dem Gegenstande ist selbst bis in die neueste Zeit in der Malerei lebendig geblieben. Die Vorliebe der Maler gerade für diese biblische Erzählung erklärt sich wohl in der Hauptsache aus dem Umstande, daß kaum eine andere eine solche Fülle von verschiedenen zur Darstellung durch die bildende Kunst geeigneten Momenten in sich birgt. Es wäre wohl einer Betrachtung wert, wie die verschiedenen künstlerischen Individualitäten sich einem solchen Stoffe gegenüber benommen haben, wie weit sie ihn ausgenutzt und erschöpft haben. Die Hauptmotive der Erzählung sind ohne Zweifel Erniedrigung und Reue. Von diesem Inhalt ist Dürers später oft nachgeahmter Kupferstich ganz erfüllt; hier sehen wir mit den geringsten Mitteln den Augenblick des tiefsten Elends und der größten Verzweiflung festgehalten: der junge Prasser kniet in Lumpen gehüllt neben seinen Schweinen, die aus dem Troge fressen. In ähnlicher Absicht, wenn auch in mehr äußerlicher Art, hat Lucas van Leiden einen späteren Moment der Geschichte dargestellt: die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Auch hier ist noch das Gewicht auf den Ausdruck von Erniedrigung und Reue gelegt; doch ist die Wirkung schon etwas abgeschwächt durch einige episodische Figuren, die dem Vorgang beiwohnen, und durch die prächtige Landschaft, in die die Handlung versetzt wird. Bald darauf konnte Cornelis Metsys den gleichen Stoff zur Staffage einer seiner Waldlandschaften verwenden (Amsterdam, Rijksmuseum Nr. 1528). Inzwischen war aber in der Antwerpener Malerei eine völlig veränderte Auffassung des biblischen Gleichnisses aufgetaucht, die weit bis über das Ende des XVI. Jahrhunderts hinaus in der niederländischen Kunst herrschend blieb. Ein starker Zug zum Sittenbildlichen macht sich in den dreißiger Jahren des XVI. Jahrhunderts geltend und führt dazu, einen früheren, im Evangelium nur flüchtig angedeuteten Moment der Handlung herauszugreifen und das Treiben des reichen Verschwenders in den Freudenhäusern zu schildern, deren Darstellung ohne biblische Einkleidung eben kurz vorher der sogenannte

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Gustav Glück: Zu einem Bilde von Hieronymus Bosch in der Figdorschen Sammlung in Wien. , 1904, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrbuch_der_k%C3%B6niglich_preuszischen_Kunstsammlungen_vol_025_Zu_einem_Bilde_von_Hieronymus_Bosch_in_der_Figdorschen_Sammlung_in_Wien.djvu/1&oldid=- (Version vom 11.3.2023)