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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

entgegentrat, sie mit einer überlegenen Macht umschloss und mit einigen Kartetschenschüssen das ganze in Frieden brachte. Mittags versuchte Murawiew eine neue Bewegung, aber sie misslang ebenfalls; ja die Verschworenen kämpften sogar selbst gegen einander, denn diejenigen, welche sich in der Abtheilung des General Geismar befanden (dieser zog den Anführern entgegen), hofften von einer unbegreiflichen Furcht hingerissen sich selbst Amnestie zu verdienen, wenn sie ihre Genossen aufopferten und über sie siegten. Allein General Geismar vergab Keinem.

 Auf diese Weise endete eine Verschwörung, die in der edelsten Absicht den Zustand der slawischen Völker zu verbessern hervorgerufen, aber nicht im Stande war, die feste Stütze einer einzigen Grundidee zu finden. Diese geheimen Verbindungen bestanden aus der edelsten, thätigsten, feurigsten und vortrefflichsten Jugend Russlands. Niemand von ihnen hatte Privatrache oder Gewinnsucht vor Augen. Alles Krumme, Falsche in den Schritten, welche die Verschwörung machte, hatte seinen Ursprung nicht im Herzen der Leute, die ihr angehörten, sondern in der falschen, negativen Idee.

 Puschkin wurde durch ein Wunder bei allem diesen Unglück gerettet. Er war damals auf dem Lande, und als er Nachricht von dem Tode des Kaiser Alexander erhielt, eilte er in die Hauptstadt. Da begegnet ihm auf der Strasse ein Hase, was ihn schon unangenehm berührte; denn er glaubte an Anzeichen und bei den Slawen ist ein solches Begegnen ein schlimmes Zeichen. Allein er fuhr weiter, aber in wenigen Minuten begegnete er wieder — ein noch schlimmeres Anzeichen — ein altes Weib; endlich nach einer Weile einen Popen. Da schleuderte sein Kutscher die Peitsche auf den Boden, stürzte auf die Knie und bat und beschwor den Herrn, er möchte umkehren. Puschkin erhörte ihn. Später erzählte er diese Geschichte öfters, halb im Scherz halb im Ernst; sicher aber bleibt es, dass er dem seine Rettung verdankte; denn sonst wäre er wie viele seiner Freunde zu Grunde gegangen oder wie einige Wenige in die sibirischen Bergwerke gekommen.

 Das traurige Ende der Verschwörung hatte indess einen ganz unvortheilhaften Einfluss auf den Geist Puschkins; es benahm ihm seine Entschlossenheit und glühende Begeisterung. Von da an beginnt sein Fall. Noch gesteht er vor sich selber es nicht ein, dass er geirrt; aber schon sieht man das an seinen Dichtungen. (Aus dieser Zeit sind folgende Verse, die uns ebenfalls Herr Wolfsohn miltheilte und welchen man wohl eine tiefere Bedeutung beilegen muss:

Wohl überm Kelch der Rose
erhebt den Wonneschall
in stillen Frühlingsnächten
im Hain die Nachtigall.
Nicht hört’s die zarte Rose
in Schlummer eingewiegt,
wie auch der Klang der Liebe
sich lispelnd um sie schmiegt.

Ob Du nicht auch, o Dichter
um kalte Schönheit singst?!
Ermanne Dich und fühle,
wem Du die Lieder bringst.
Sie hört Dich nicht, sie ahnt nicht
Dein lieberglühend Leben
Du siehst — sie blüht; Du rufest:
Sie kann nicht Antwort geben.)

 Manchmal in vertrauter Gesellschaft verlachte er sogar seine früheren Freunde oder wenigstens ihre Ideen und Grundsätze; übrigens war es sein offener und heisser Wunsch, den Kaiser zu hassen, aber er wusste nicht, wie er einen Grund zu diesem Hasse herausbringen könne. In Kurzem fing man an, ihn des Verraths zu beschuldigen. Der Kaiser Nikolaus liess ihn zu sich rufen; seit Russland Russland

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/61&oldid=- (Version vom 26.9.2022)