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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

freilich drückend und lästig sind.“ (S. 104.) Wir können nicht umhin, bei dieser Stelle zu bemerken, dass dem Herrn Prorector bei dieser Gelegenheit dasselbe Unglück passirt ist, wie so Vielen, dass er nämlich die Verhältnisse gerade verkehrt hat. Die Carolinger und die teutschen Kaiser fingen den Krieg gegen die slawischen Völker allerdings zum grossen Theil aus Eroberungs- und Raubsucht an und setzten ihn später, als sie durch die Kaiserkrone sich die Herrschaft der Welt erkauft zu haben glaubten, unter dem Vorwande der christlichen Religion fort. Auch war Ehrgeiz und Ruhmgier einzelner Slawenfeinde gewiss der entschiedenste Sporn. Dass der gegenseitige Zwist und Hader der slawischen Völker sie geschwächt hat, wissen wir leider nur zu deutlich; neu ist es uns aber, den Slawen, den Ackerbauern und Gewerbtreibenden „ewige Unruhe“ vorgeworfen zu sehen. Allerdings zeigen sich die Slawen in den Berichten der Chronisten häufig unruhig, aber gewiss allemal nur dann, wenn ihnen Unrecht geschah. Wer konnte es den Freiheitsliebenden verargen, dass sie sich erhoben und die alle Unabhängigkeit wieder zu erringen trachteten? Wir erinnern nur an den Markgrafen Gero. Oder ist das vielleicht der freche Uebermuth der Besiegten? Sollten sie ruhig und zufrieden, gleich Sklaven, das Joch tragen, das ihnen die eiserne Faust ihrer Nachbarn auflegte? War es also ein ungebührliches Missachten der Natur- und Völkerrechte, wenn sie das gewaltsam aufgedrängte Bündniss lösten und unabhängig in dem Lande stehen wollten, das sie angebaut und fruchtbar gemacht hatten. — Die unparteiische Geschichte, auf die der Verfasser sich beruft, lehrt ganz andere Dinge, als diejenigen, welche derselbe ihr aufbürden möchte. Wie ganz anders sehen dann die Fragen des Verfassers aus: „Wie kann da der Slawe noch ferner dem Teutschen grollen? wie sollte er nicht vielmehr dem Genius des eigenen Geschlechtes zürnen, der solches Unheil über dasselbe gebracht?“ Wohl hätte der Slawe Ursache, dem Deutschen zu grollen, aber nur weil der Teutsche den Krieg begonnen, dessen Schicksal sich gegen den Slawen entschied. Aber die Slawen müssen erkennen, dass ihre eigene Uneinigkeit Schuld war an diesem Schicksale, weil sie sonst dem deutschen Reiche leicht wiederstanden hätten; sie dürfen nie vergessen, dass die Deutschen, deren Nachbarn oder Landsleute sie gegenwärtig sind, seit jenen Zeiten ein geistig anderes Volk geworden sind und manche Unbill, welche die rächende Macht der Slawen ihnen im Verlaufe der Jahrhunderte zugefügt, zu vergessen im Begriffe stehen; sie müssen stets vor Augen behalten, dass nur Friede und Eintracht zwischen den beiden Völkern jenes feste Band zu knüpfen vermag, das die gesitteten Völker unseres Erdtheils zu einem Ganzen vereinen soll. Wenn wir daher die Worte des Verfassers: „nur das Licht der Vergangenheit lässt uns die Verhältnisse der Gegenwart richtig auffassen, und nur ein richtiges Auffassen der Gegenwart macht zugleich ein richtiges Wirken auf die Zukunft möglich“ ganz unterschreiben, so können wir es doch andererseits nicht gut heissen, dass er die Deutschen auffordert, „weil sie im Rechte (soll wohl heissen: in der Macht) seien, ruhig zuzusehen und zu verlangen, dass der Slawe ihm freundlich entgegenkomme, Falls er wünscht, dass von dem starren Rechte in etwas nachgelassen werde zu seinen Gunsten.“ Das starre Recht gilt in der Geschichte, in der Politik aber findet nur das fügsame Recht seine Anwendung.

 Einen neuen Missbrauch (wir können es nicht anders nennen) macht der Verfasser in der Folge von der Verbindung des Christenthums mit dem Germanenthume. Es ist wahr, das deutsche Reich nahm frühzeitig das Christenthum an und empfing mit diesem zugleich „ein streng geregeltes Kirchenthum und eine höhere geistige Kultur, die jüdisch-christliche, im Vereine mit der griechisch-römisch-klassischen.“ Es ist wahr, dass „jener Kampf in Folge dessen zugleich auch ein Kampf des Christenthums und des Heidenthums“ war, weniger, dass es ein Kampf „der Kultur und der Unkultur“ war; denn des Verfassers beliebte Vorstellung von der slawischen Rohheit steht doch auf etwas allzuschwachen Füssen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/433&oldid=- (Version vom 14.2.2021)