Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/42

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

und nützen dem Publikum mehr, als die neuesten französischen Lustspiele und Vauxdevilles, die in solcher Masse als Uebersetzungen, Bearbeitungen, Umarbeitungen u. dergl. dem Publikum immer und immer wieder aufgetischt werden und worin besonders Herr P. Obodowski so stark ist. Dieser hat in den 15 Jahren, die er nun etwa für die Bühne arbeitet, gegen hundert Dramen theils übersetzt, theils überarbeitet, theils selbst verfasst. Von demselben heisst es in den obengedachten Vaterl. Mem.: „Jetzt steht in dem hellen Vordergrunde der dramaturgischen Thätigkeit der Alles umfassende Herr Kukolnik. Hinter ihm in ehrfurchtsvoller Ferne glänzt das ewig junge Talent, Herr Polewoj. — Hinter ihm an der dritten Stelle verbeugt sich mit der einem wirklichen Talente eigenthümlichen Bescheidenheit vor dem Publikum für seine erhebenden Hervorrufungen: — das unermüdete und der Sache vom ganzen Herzen ergebene Talent des Herrn Obodowski. Ueberhaupt ist das Talent des Herrn Obodowski ein wunderbar schmiegsames, befähigtes und dem gegenwärtigen Zustande der russischen Literatur entsprechendes; er kann durch sein Vorgezogenwerden Niemandes Eigenliebe beleidigen, obgleich er in der That gar vielen Dramatikern vorgezogen wird und werden muss. Die Dramen Obodowski’s, die übersetzten, die bearbeiteten und die originalen, unterscheiden sich durch einen charakterischen, ihnen allgemeinen Zug von denen anderer Schriftsteller, den nämlich, dass sie nicht schön genug sind, um sie gut zu nennen, noch anderseits aber auch ganz schlecht: — so ist sein Wahlspruch, die goldene Mittelstrasse! Ein glückliches Talent, keine Feinde aber viel Ruhm und Ruhm ohne Dornen, ohne Gram! — „Christine“ ist ein bearbeitetes, „Car Wasilij Joanowicz Schujski“ ein originales Drama von Obodowski; aber beide tragen den Stempel der nächsten Blutsverwandtschaft an sich, beide scheinen Originalprodukte eines und desselben Verfassers zu sein. — Es ist eine längst bekannte Sache, dass Herr Obodowski nicht ganz glücklich ist in der Auswahl fremder Stücke zu seinen Uebersetzungen und Bearbeitungen; auch bei seiner „Christine“ ist er diesem Missgeschick nicht entgangen, das ihm so lange Zeit und so hartnäckig verfolgt. Und dieses Stück, matt und schläfrig in seiner Handlung, aber desto rührender für die deutschen Bürger[1], deren Leben dahin schleicht unter der Devise: „Bete und arbeite“; desto effectvoller für die gefühlsamen guten deutschen Philister, welche auch im Drama so gern die Abgespanntheit und Mattheit ihres häuslichen Zustandes abgebildet sehen; wer dieses Drama auf der Bühne sieht ohne Hülfe des Theaterzettels, der wird noch im dritten Acte nicht im Stande sein, eine Person von der andern zu unterscheiden, wozu neben dem verzweifelten Mangel an aller Charakteristik und Individualisirung der Helden auch sehr viel der magnetisch einschläfernde Einfluss beiträgt, den das Drama auf den Leser macht.“

 Neben Obodowski ist N. Polewoj der eifrigste und thätigste Arbeiter für die Alexanderbühne. Ueber diesen, welcher seit vielen Jahren mit den meisten russischen Literaten im Streit liegt, lässt Krajewski ebenfalls seine ganze Galle aus; so heisst ’es bei Gelegenheit einer Recension von Polewoj’s „Elina Glinskaja“: „Alles in Allem zu sein und in allem der erste zu sein, das scheint die Devise der literarischen Thätigkeit Polewoj’s. — — Statistik, politische Oeconomie, Geschichte, Philosophie, Philologie, Kritik, Grammatik, Ethik, Journalistik, lyrische Poesie, Erzählung und Roman, — Alles das ist das Feld, auf welchem Polewoj arbeitet, der einzige ohne Nebenbuhler, ohne Beihelfer ....“ Krajewski behauptet dann, nur der Ruhm dieses und jenes Mannes habe Polewoj veranlasst, das Feld zu betreten, auf dem jener gross geworden, und deutet damit an, dass nur Ruhmsucht die Seele des Mannes beherrsche. Wir haben unsere Meinung


  1. Uns sind die deutschen Bürger mit ihrem „Bete und arbeite!“ viel achtungswerther, als die in Faulheit versumpfende russische Aristokratie, welche die Früchte von dem Schweisse ihrer Unterthanen muthwillig in der Hauptstadt verschwendet. Trotz dem hielten wir es für unsere Pflicht, diese Stelle ganz wiederzugeben, um zu zeigen, welche Begriffe man sich in Russland über Deutschland macht.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/42&oldid=- (Version vom 14.9.2022)