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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

mehr und mehr abhängig zu machen. Er verfährt dabei nicht nur aus Ehrgeiz, sondern strebt auch nach einer materiellen Verbesserung seiner Lage, die ihm um so wünschenswerther ist, als diese letztere in keinem Verhältniss zu den Anforderungen des immer weiter um sich greifenden Luxus mehr steht, und er bei einer Veränderung der Verfassung vor der Hand nur gewinnen könnte.

 Denn bei uns ist auch das eigenthümlich, dass, während der mittlere Adel in Bedürfnissen des Luxus mit den auf der Bahn der Civilisation vorgeschrittenen Völkern möglichst gleichen Schritt hält, die alten Erwerbsquellen unzureichend sind, die gesteigerten Bedürfnisse zu decken und keine neuen eröffnet wurden. Durch seinen Einfluss auf den niedern Adel, die Besetzung der Comitatsämter aus seinen Reihen, durch das Gewicht seiner Vertreter in der Deputirtenkammer - welches die städtischen Deputirten und die des Klerus so gut wie paralysirt hat - besitzt diese Fraction des Adels Elemente der Macht, so wie es sich darum handelt, gegen die hohe Aristokratie und den Klerus in die Schranken zu treten, wie sie überhaupt liberal bis zum Extrem ist, so oft nicht ihre eigenen Interessen ins Spiel kommen. Diese für sie günstige Stellung wird ihr streitig gemacht durch den Einfluss des hohen Adels und des Klerus, den diese beiden auf den niedern Adel (die Bocskoros) mit ihr theilen; sie wird in ihren Bestrebungen nach Reformen durch die Zähigkeit gehemmt, mit der die Bocskoros an den althergebrachten Vorurtheilen hängen, und ist, so wie ein Schritt von der Negation zur Position gemacht werden soll, von unzähligen Schwierigkeiten und Collisionen umrungen, unvermögend, bei scheinbar noch so günstigen Winden das Staatsschiff vom alten Flecke fortzubewegen und ihm eine bestimmte Richtung nach einem Ziele zu geben.

 Dieser Theil des Adels gefällt sich darin, sich gleichsam als den dritten Stand, den tiers état hinzustellen; - eine grandiöse Täuschung, da dieser Stand Gewerbe, Industrie, Handel, Kunst und Wissenschaft umfasst und als solcher zu der grossen Wichtigkeit in den modernen Staaten gelangte, und ihren politischen Institutionen seinen Stempel aufdrückte. Ohne diese materielle und ganz positive Stellung im Staate vermögen bloss politische Tendenzen nimmer dessen Platz einzunehmen.

 Die liberale Partei, welche in dem mittleren Adel, diesem seltsamen tiers état, ihr Hauptlager hat, und in dem Pesti hirlap ihre tribune militaire, ohne Disciplin, ohne Heerführer, von einem Schwarm von Marodeurs umschwärmt, gleicht einem unorganisirten Freicorps, das höchstens zu einem Streifzug, einer Ueberrumpelung des feindlichen Lagers dienlich ist. Eine Hauptschlacht weder zu bieten, noch anzunehmen tauglich, ohne Kriegsplan und Terrainkenntniss, im Angriff eben so blind und unüberlegt, als leicht verwirrt und in die Flucht geschlagen; in unzählige Fähnlein getheilt, zersplittert sie ihre Kräfte, die sich nach Willkühr oder ganz zufällig auf diesen oder jenen Punkt werfen, den sie, genommen oder nicht, wieder verlassen, um einen neuen Streifzug zu unternehmen, - ein wahrer Heuschreckenschwarm, der, Alles verwüstend, nirgends festen Fuss fasst.

 Dieses nur allzutreue Bild der liberalen Partei wollen wir zu Nutz und Frommen nicht-militairischer Käuze in einem medicinischen Beispiel für unsre hypochondrischen Leser wieder zu geben suchen. Die liberale Partei gleicht einem Heere von Aerzten, die an der Verfassung und den Landesinstitutionen - jeder nach seiner Weise – herumdoctern. Von einer vollständigen Erforschung der Krankheitserscheinungen, von einer Prüfung der Ursachen, Beziehung der Symptome auf das erkrankte System oder Organ, auf die mannigfaltigen Complicationen und Combinationen der Krankheit und die vielen andern Momente, die ein heilkundiger Arzt zu berücksichtigen hat, ist nirgends die Rede; sondern, wie ächte Quacksalber, tappen sie blind zu, und scheuen sich nicht, heroische Mittel auf gut Glück anzuwenden oder die widersprechendsten Medicamente ohne Kenntniss ihrer Wirkungsart dreist auszubieten.

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/187&oldid=- (Version vom 3.11.2018)