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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Was aber unbedingt am meisten in das Volk eingreift und den Sinn für die heimische Sache in den weitesten Kreisen auszubreiten vermag, ist das Theater. Viele Jahre spielten nur Dilettanten, später Dilettanten und besoldete Schauspieler gemeinschaftlich an dem ständischen (deutschen) Theater. Jetzt endlich sind wir dahin gekommen, dass wir nicht bloss ein eigenes Schauspielhaus, sondern auch eine besondere Schauspielergesellschaft für das böhmische Theater besitzen. Beides verdanken wir dem thätigen und umsichtigen Direktor und Pächter des ständischen Theaters, Herrn Stöger, welcher nicht nur auf eigene Faust, mit ungeheuren Kosten, zu diesem Zwecke ein grossartiges Gebäude in der Rosengasse aufführte, sondern nun auch noch eine besondere Gesellschaft für dasselbe zusammen brachte. Der Dank der ganzen Nation folgt ihm dafür und jedermann ist bemüht, die Last der Ungeheuern Ausgaben, welche zu diesem Zwecke nothwendig sind, nach Kräften tragen zu helfen. Herr Stöger empfängt diese Beweise von Dankbarkeit mit frohem Bewusstsein, und bietet auch von seiner Seite Alles auf, das neue Theater in jeder Hinsicht zu heben. So hat er vor Kurzem einen dreifachen Preis für das beste, bühnengerechte, dramatische Werk in böhmischer Sprache ausgesetzt. Das Originaldrama ernsten oder heitern Inhalts, das von den dazu bestimmten Richtern für das Beste erkannt wird, erhält einen Preis von 20 Dukaten in Gold; das zweite nach diesem 15 Dukaten, ein drittes 10 Dukaten; unter der einzigen Bedingung, dass dasselbe zur freien Aufführung auf dem Prager Theater hergegeben werde. Zu diesem löblichen Vorhaben ist ein zweiter, „Ein Liebhaber der böhmischen Sprache, der ungenannt sein will“, hinzugetreten und bietet den Verfassern jener drei Stücke ein gleiches Honorar nach den drei Graden für die Berechtigung, die gedachten drei Stücke öffentlich in den Druck zu geben. Zu Schiedsrichtern bei dieser Preisbewerbung sind bestimmt: die Herren Joseph Jungmann, als Vorsitzender, dann der Kleinseitner Humanitäts-Professor Wenzeslaw Swoboda, der ständische Historiograph Franz Palacky, der Professor der böhmischen Sprache u. Literatur Jan Kaubek und der bekannte Dichter Erasmus Wocel, als Beisitzer. Die Einsendungen müssen wie gewöhnlich versiegelt an den Direktor Stöger gemacht werden. Der letzte Termin ist Weihnachten 1843. — Ein solches, in unserer Literatur bisher unerhörtes Faktum, kann nicht anders als von den wohlthätigsten Wirkungen für unsere Kunst und Literatur sein. Weil nun diese Verdienste des Direktor Stöger von allen Seiten gebührend anerkannt werden, so hat sich, um seinen Bestrebungen für die Entwickelung einer dramatischen Literatur kräftige Unterstützung zu geben, in Prag eine Gesellschaft von Männern vereint, welche, Freunde des böhmischen Theaterwesens, sich entschlossen haben, sämmtliche dramatische Schriften Shakespeares in guten Uebersetzungen auf eigene Kosten herauszugeben. Und so sieht denn der Freund des Czechenthums, wie unsere Nationalität selbst unter den ungünstigsten Umständen, die sich erst in letzter Zeit durch die weise und gütige Hand der Regierung zu verbessern anfangen, immer und nicht selten mit bedeutendem Erfolg vorwärts schreitet in Wissenschaft, Literatur und Kunst, und sich so allmählig vorbereitet, unter den Völkern slawischer Zunge jene Stelle einzunehmen, die ihr vom Schicksal bestimmt ist.

St. Petersburg.

 Unter den russischen Zeitschriften sind die besten: der Moskowite (Москвитянинъ), von Prof. Pogodin in Moskwa herausgegeben; beschäftigt sich vorzüglich mit russischer Literatur und Geschichte, auch das Slawenthum ist ihm nicht fremd. Dann die vaterländischen Memoiren (Отечественныя Записки), welche das ganze Gebiet des menschlichen Wissens: Literatur (russische und ausländische in Uebersetzungen), Wissenschaften, Künste, Hauswirthschaft, Industrie, Handel, umfassen, und sich durch eine stets scharfe Kritik auszeichnen. Ueberdiess findet man regelmässig eine vollständige Bibliographie. Die Monatshefte sind von beispiellosem Umfang, man nennt sie hier die „dicken Journale.“ Die Memoiren haben eine scharf antislawische Tendenz. Das Journal des Minist. d. Aufklär. hat seine Wichtigkeit wegen der mannichfaltigen Nachrichten aus dem betreffenden Departement. Alle übrigen Journale sind weniger gut und erscheinen ganz unregelmässig. — Einen furchtbaren Skandal hat Gogols neuester Roman: „die todten Seelen“ — gemacht. Seit Jahrzehenden hat kein Buch eine solche Sensation erregt; ein merkwürdiges Gemälde des russischen Lebens! — Von Markiewicz erschien eine Geschichte Kleinrusslands in sechs Bänden. Ein gutes Buch, gestützt auf Dokumente. — Der unermüdliche Polewoj gibt eine Geschichte Suworows heraus, da sein „Peter der Grosse“ (in Heften mit Stahlstichen) aus dem Leim ging. — Einige hier wohnende Polen haben sich zur Herausgabe polnischer Geschichts-Dokumente vereinigt. Ein Prognostikon lässt sich nicht stellen. — Wostokow hat einen Katalog der kirchlich slawischen Handschriften des Rumjancow’schen Museums, ein Buch von 800 Seiten in 4. erscheinen lassen, das des Interessanten ausserordentlich viel enthält. — Von Kotljarewski’s travestirter Aeneide (in kleinrussischem Dialekt) ist eine neue Auflage mit einem Wörterbuche versehen in Charkow erschienen. — Der Prof. Preis, den man bereits von den Magyaren erschlagen wissen wollte, ist endlich unversehrt hier angekommen. — Ustrjalow ist Reichshistoriograph geworden und hat den Auftrag bekommen, die Geschichte „Peter des Grossen“ zu schreiben, wozu bekanntlich schon Puschkin sehr schätzbare und zahlreiche Materialien gesammelt hatte. Alle Archive sind ihm zu diesem Zwecke zur freiesten Benutzung geöffnet und man sieht, mit welcher Liberalität

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/168&oldid=- (Version vom 10.11.2019)